in die fremde gegangen – und fremd geblieben

im kommenden jahr feiert new bern in north carolina das 300jährige bestehen – und anderem mit einer ausstellung und einem video im berner historischen museum. wirklich näher bringt mir das die amerikanische stadt jedoch nicht.

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logo zu den feierlichkeiten in new bern

die karriere von christoph von graffenried verlief zur wende vom 17. zum 18. jahrhundert genau so, wie man es von einem patriziersohn erwartete: heirat im angesehenen kreis der stadtadeligen, studium im ausland, eintritt in die politik, landvogt in yverdon. der nächste schritt wäre die aufnahme in den kleinrat, der berner stadtregierung, gewesen. hätte es nicht einen familienzwist gegeben, der vater und sohn trennte.

christoph beschloss auszuwandern. im frühling 1710 reiste über basel, rotterdam und london in die neue welt, nahm im namen des englischen königs land, um eine hafenstadt an den gestaden des atlantiks zu bauen. new bern nannte er sie – in erinnerung an die alte heimat.

auf der suche nach rohstoffen ausserhalb des stadtbodens geriet von graffenried mit den indianischen ureinwohnern in konflikt, wurde er gefangen genommen, und als er wieder frei war, konnte er nur konstatieren, dass new bern weitgehend zerstört worden war und sich die meisten neusiedler davon gemacht hatten.

auch der stadtgründer blieb nicht mehr lange im wilden amerika. 1713 kehrte er ohne jegliches geld nach bern zurück. die neue welt sah er nie mehr. vielmehr verfolgte er den weg der alten welt weiter, wurde schlossherr in worb, und verstarb er daselbst weitgehend vereinsamt.

viele der bernerInnen, die mit von graffenried emigriert waren, kehrten nicht zurück. vielmehr wanderten sie in der neuen welt weiter und liessen sich beispielsweise in new york nieder, um ein teil des american dreams zu werden.

das alles hat die beziehungen zwischen old and new bern nicht befördert. zwar erinnert das stadtwappen von new bern an den berner bär im berner wappen, und man findet auch einige strassenschilder in new bern, welche an die stadtgründernamen erinnern. doch sonst sind die beiden städte ihre eigenen wege gegangen.

darüber kann auch die jubiläums-ausstellung im berner historischen museum nicht hinweg täuschen. zu klassisch ist der aufbau, zu sparsam wird mit dem material umgegangen, um interessierte zu überraschen. die internet-seite dazu ist “nett”, aber nicht packend, sodass von einem neuanfang nicht die rede sein kann. kein einziges projekt wird vorgestellt, dass die menschlichen verbindungen zwischen den namensvetterstädten über die gründungsfamilie hinaus befördern würde.

so bleibt ein fazit nach dem ausstellungsbesuch: vor dreihundert jahren gingen einige berner in die fremde, wurden von den fremden nicht eben freundlich empfangen. die beiden bern verhalten sich seither wie fremde – und dürften es auch über die anstehenden feierlichkeiten hinaus so bleiben. schade!

stadtwanderer

cal

ich bin der berner stadtwanderer. ich lebe in hinterkappelen und arbeite in bern. ich bin der felsenfesten überzeugung, dass bern burgundische wurzeln hat, genauso wie ich. also bin ich immer wieder auf der suche nach verästelungen, in denen sich die vergangene kultur in meiner umgebung versteckt hält.

5 Gedanken zu „in die fremde gegangen – und fremd geblieben“

  1. Irgendwann mal las ich von diesen Auswanderern, aber nicht von so gut bestückten wie es der von Graffenried war, sondern von solchen die arm waren, die Gemeinden sie nicht mehr durchfuttern konnten und ihnen einen Geldsäckel in die Hand gaben und ab die Post, versucht euch in Amerika ein besseres Leben aufzubauen.

    Ein grosser Teil von diesen Auswanderern hat es geschafft, hat sich eine Existenz aufgebaut.
    Über diese Leute sollte man mal berichten und nicht über einen von Graffenried. Über Leute, die mit ihrer Überzeugung, ihrem Willen und ihren Händen Bedeutendes geschafft haben.

    Aber … mein grosses Fragezeichen … da kamen die Europäer, raubten z.B. den Indianern ihr Land. Oder schau mal was mit den Ureinwohnern von Australien passierte.

    Wir haben es fertiggebracht zwei Völker/Stämme mehr oder weniger auszuöschen. Doch damit nicht genug; Nun wollen wir auch noch die Europäer gleich gestalten. Mentalitätsmässig ein Ding der Unmöglichkeit.

  2. du hast absolut recht, denn auch das ist ein teil der enttäuschung bei dieser ausstellung.
    christoph von graffenried kommt im der ausstellung einmal mehr zu gut weg, unter anderem auch wegen der gänzlich unkritischen darstellung. vielleicht gehört das zu verklärung von stadtgründern, 300 jahre danach wäre eine grössere historische recherche angebracht gewesen.
    diese könnte nämlich auch aufzeigen, wer in seinem gefolge alles auswanderte, wo von, warum, und unter welchen umständen.
    zum beispiel: die täufer, die sich konfessionell nicht integrieren wollten und den militärdienst verweigerten, wurde mit vorliebe ins unbewohnte oberland oder in den jura geschickt, oder dann gleich nach amerika.
    muss mich wirklich mal darum kümmern, über die auswanderer.
    die motive heute sind häufig, glaub ich anders. heiraten mit einem ausländer oder einer ausländerin sind der hauptgrund. selbstverständlich kommt abenteurlust dazu, und abkehr vom staat der alles regelt und besteuert, kommt wohl als drittes.
    andreas thiel, der neumodische komiter aus bern gehört zur letzteren gruppe. für mich unerklärlich ging er deshalb nach island, dem teuersten land das ist je erlebt habe.

  3. Die Ausstellung ist eine Art Jubiläums-Festumzug zu glorreichen Taten “Alter Eidgenossen” und ihrer Nachfahren und keine einigermassen objektive Darstellung. Das muss nicht verwundern, wenn man Trägerschaft und Anlass der Ausstellung berücksichtigt. Solche “Gastveranstaltungen” passen allerdings
    nicht ins hmb, das in den letzten Jahren hoch stehende Standards gesetzt hat.
    Insbesondere stört mich, dass die mit der Landnahme verbundene Leidensgeschichte der “Indianer” ausgeblendet wird – der Erfindung des Pepsi Cola wird dafür ein ganzes Abteil gewidmet. Der Vertrag des Herrn de Graffenried war nicht so grosszügig, wie man in der Ausstellung glauben macht. Wie damals üblich wurden die “Indianer” über den Tisch gezogen – sie kannten weder Geldwirtschaft noch Bodenbesitz – dann versklavt, mit Infektinskrankheiten dezimiert, totgeschlagen und als “Restbestände” in Reservate verfrachtet. Und Gnädige Herren haben, begleitet von armen Schluckern und schwarzen Sklaven mitgewirkt – deren Geschichte wird immerhin kurz dargestellt.

  4. Das trifft den Nagel auf den Kopf. Wir hatten in den letzten Jahren neuartige Ausstellungen aus Bern, die sich überall herumgesprochen hatten. Einstein, Karl der Kühne und anderes mehr waren Ausstellungsrenner.
    Nun haben die Alten Eidgenossen wieder zu geschlagen. Denn tollen Ausstellungsmacher hat man vertrieben, sodass man wieder fuhrwerken kann, wie man will. Dafür bleibt das Publikum weitgehend aus.
    Geschichte, sagt Nitzsche, könne antiquarisch, heroisch oder kritisch betrieben werden. Jedes Museum neigt dazu, antiquarisch zu verfahren, weil es seine Aufgabe ist. Die Aufgabe der Wissenschaft sei es, kritisch zu sein, und die Absicht der herrschenden sei es, die Geschichte heldenhaft aufzubauen, um sich im Glanz der der Vorgänger selber ein wenig sonnen zu können.

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