1986: wie vieles begann, das heute noch wirkt

die wahlen in den berner regierungsrat von 1986 sind unvergessen. gestern trafen sich zahlreiche protagonistInnen und nachfolger dieser zeit zu einer gemeinsamen stadtwanderung.

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der stadtwanderer und sein publikum: die ehemaligen politikerInnen leni robert, dori schär, peter siegentaler, urs hänsenberger und rosemarie bär, aber auch viele andere, wanderten mit, um sich an die wahlen von 1986 zu erinnern (foto: bärbi)

1986 ist in vielerlei hinsicht ein einschnitt gewesen. am 26. april ging in tschernobyl ein atommeiler in die luft und verseuchte weite teile europas. in bern war man gerade dabei, eine neue kantonsregierung zu wählen. die alte befand sich wegen ihrer jura-politik in der defensive, hatte doch eine finanzinspektor unerlaubte zahlungen aus schwarzen kassen des kantons aufgedeckt. im ersten wahlgang wurden svp und sp bedient, die fdp-vertreter jedoch schafften das absolute mehr nicht. in aussichtsreicher position lagen dafür leni robert und benjamin hofstetter von der freien liste. im zweiten wahlgang reichte es für die beiden vom postmateriellen wertwandel inspirierten vertreterInnen der jungen partei. mit leni robert wurde erstmals auch eine frau in die berner kantonsregierung gewählt.

nur wenige wochen davor, am 16. märz 1986, entstand eine andere politische bewegung. die schweiz verwarf an diesem tag in einer volksabstimmung den beitritt zu den vereinten nationen wuchtig. obsiegt hatte ein konservatives komitee, das sich in der folge umbenannte und immer noch existiert: bis heute wacht die auns darüber, dass sich die schweiz von allem, was im ausland geschieht, gründlich fern hält. sie legte damit die basis für das erstarken der svp als neuer rechtspartei, die schweizer werte der abschottung, der bevorzugung einheimischer gegenüber ausländerInnen und bewahrung helvetischer sonderfälle in einer sich rasch wandelnden umwelt propagiert.

1986 war auch für mich ein wendejahr. meine anstellung an der uni bern war unsicher geworden, weil das forschungszentrum für schweizerische politik, wie die arbeitsstelle der politologInnen von damals hiess, liquidiert und die ressourcen der neoliberal ausgerichtete politischen ökonomie angeschlossen werden sollten. ich bewarb mich, beispielsweise als marktforscher für den “tages-anzeiger”, nahm dann aber ein unverhofftes angebot an, als projektleiter am gfs-forschungsinstitut für abstimmungsanalyse eine stelle anzutreten. das gefiel mir, denn in all diesen umbrüchen vom frühjahr 1986 habe ich erstmals ein grosses interview über die schweizerische parteienlandschaft im umbruch geben können; urs paul engeler von der berner zeitung führte es. bei den berühmten berner wahlen von damals hatte ich zudem mit hans hirter erstmals eine hochrechung zu einer volksentscheidung realisiert.

leni robert, die damals bernische erziehungsdirektorin wurde und als eine ihrer ersten amtshandlungen den bestand der berner politikwissenschaft sicherte, bin ich seither mit beobachtender distanz freundlich verbunden geblieben. um der abtrünnigen freisinnigen, die der politik der 80er jahre viel gebracht, ein kanppes vierteljahrhundert danach einmal herzlich dankeschön sagen zu können, habe ich sie, einige ihrer weggefährten und deren politisch nachfahren zu einem rundgang durch bern eingeladen. gekommen sind alt-regierungsrätInnen, alt-stände- und nationalrätInnen aller bernischen regierungsparteien; anwesend war auch lokalpolitikerinnen, lokaljournalisten der ersten garde, und viele andere mehr. besonders gefreut hat mich, dass auch adrian vatter mitmarschierte, damals ein kleiner mitarbeiter von mir, seit einem monat inhaber des berühmten lehrstuhles für schweizerische politik an der uni bern.

herzlichen dank euch allen, es hat mit viel bedeutet, mit den zeitgenossInnen von damals die verfassung der gegenwart zu erkunden!

stadtwanderer

cal

ich bin der berner stadtwanderer. ich lebe in hinterkappelen und arbeite in bern. ich bin der felsenfesten überzeugung, dass bern burgundische wurzeln hat, genauso wie ich. also bin ich immer wieder auf der suche nach verästelungen, in denen sich die vergangene kultur in meiner umgebung versteckt hält.

Ein Gedanke zu „1986: wie vieles begann, das heute noch wirkt“

  1. Lieber Claude
    Ich durfte gestern abend dabei sein bei deiner stadtwanderung, massgeschneidert für leni robert und die historischen ereignisse im kanton bern, der schweiz und der welt im jahre 1986. Ich danke Dir für den neuen Blick auf die Geschichte Berns, den Du uns eröffnet hast und die neuen Zusammenhänge – auch in die aktuelle Politik hinein. Ich habe vieles zum nachdenken mit nach hause genommen. in der schlaflosen phase der nacht habe ich dann den “film” der pionierzeit unserer freien liste “abgespielt”, die ich hautnah und intensiv miterlebt habe. es ist ein Rückblick nicht ohne genugtuung. Es sind bleibende doch Spuren sichtbar (neben denen an der Uni durch die Erziehungsdirektorin). So ist mir die neue bernische Verfassung in den Sinn gekommen, in der doch ein paar Grundsätze verankert sind, die in unserem eigenen Verfassungsentwurf (ausgearbeitet mit Unterstützung von J.P. Müller und Alfred Kölz)erstmals postuliert wurden. Wir publizierten sie unter einem Gedanken von Mani Matter: “Das was unsere väter schufen, war, da sie es schufen neu. Bleiben wir später den vätern treu, schaffen wir neu”. Die damalige aufbruchstimmung, die frische luft in der politik, hätte die schweiz heute so nötig wie damals.

    Ich danke Dir für den gelungenen, interessanten und anregenden Abend und grüsse Dich herzlich, Rosmarie Bär

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