zürich und die schweiz

bruno fritzsche, mein früherer professor für wirtschafts- und sozialgeschichte, hat für die 50 jahr-feier der raumplanung zürich und umgebung einen interessanten essay zum verhältnis von zürich und der schweiz geschrieben. darin hält er fest, dass die stadt bis 1830 eine ganz durchschnittliche position in der eidgenossenschaft einnahm. danach setzte der sturmlauf an die spitze alle schweizer städte ein. begründet durch die vorteile aus der beschleunigten mobilität. und so frage ich aus aktuellem anlass, ob das heute noch der grund ist für die starke stellung der limmatstadt.

die veränderung habe mit der mobilität und ihrer infrastrukturellen förderung angefangen. “Mittel dazu war das revolutionäre Verkehrsmittel der Eisenbahn, welche den bisherigen Raumwiderstand pulverisierte.” mit der geschwindigkeit verringerte sich die distanz und es nahm die raumintegration sprunghaft zu.

zürich setzte damals gegen bern, das die staatsbahn wollte, das privatbahnkonzept durch, und gewann, so der historiker fritzsche, “einige wenige, aber entscheidende Jahre Vorsprung”. gegenüber rivalisierenden städten wie basel, st. gallen, lausanne und genf habe zürich zudem den vorteil der zentralen lage nutzen können. “Bern dagegen, das noch günstiger lag, verhielt sich in der eisenbahnfrage merkwürdig passiv.” der sprung vom führenden strassen- zum führenden eisenbahnbauer gelang bern nicht.

als die privatbahnen nicht mehr rentierten, übernahm zur jahrhundertwende der bund das meiste. poltisch war das eine par force leistung und führte zur integration der früher verfeindeten fdp und kk. dafür flossen öffentliche gelder aus allen regionen in alle regionen.

denkt man! mit den worten aus dem jubiläumsbroschüre der RZU im gedächtnis, habe ich heute morgen mit dem röschtigraber die tageszeitungen durchgeblättert. eine grafik in der nzz fiel uns beiden auf. es ging um die neuen infrastrukturprojekte, die bei den eisenbahnen mit bundesgeldern gefördert werden sollen. und so werden die räume mit bundesgeldern alimentiert:

metrozürich: 2,64 milliarden chf
hauptstadtregion: 0,58 milliarden chf
metrobasel: 0,47 milliarden chf
städtenetz tessin: 0,41 milliarden chf
metrogenf: 0,41 milliarden chf
städtenetz st. gallen: 0,24 milliarden chf

sicher, das beispiel ist herausgegriffen. doch es ist das aktuellste beispiel für die laufende kontroverse.

als das belegt es, dass bern auch als hauptstadtregion nicht einfach schlechter gestellt wird, gegenüber bern, basel und genf. doch diese räume alle nur 2. wahl. und so fragt man sich, was die wirtschafts- und sozialhistorikerInnen in 50 jahren über die zusammenhänge von mobilität, infrastruktur, metropolregionen schreiben werden, wenn es dann um 100 jahre raumplanung “zürich und umgebung” gehen wird?

stadtwanderer

quelle:
zürich und die schweiz. essay von bruno fritzsche, mit kommentaren von iwan rickenbacher und claude longchamp, raumplanung zürich und umgebung, zürich 2008
nzz von heute

cal

ich bin der berner stadtwanderer. ich lebe in hinterkappelen und arbeite in bern. ich bin der felsenfesten überzeugung, dass bern burgundische wurzeln hat, genauso wie ich. also bin ich immer wieder auf der suche nach verästelungen, in denen sich die vergangene kultur in meiner umgebung versteckt hält.

14 Gedanken zu „zürich und die schweiz“

  1. bern ist nicht besser gelegen. wenn man nur die deutschschweiz betrachtet so ist zürich am besten gelegen, genau dies macht zürich so erfolgreich. die deutschschweiz ist mal abgesehen von den räumen bern und basel praktisch ausschliesslich hinterland von zürich. bern und basel wiederum sind in ihrer entwicklung gehindert durch grenzen. die stadt zürich dominiert heute die schweiz nicht wegen seiner glorreichen geschichte oder grösse, sondern schlussendlich wegen der zentralen lage in der kleinräumigen deutschschweiz.

  2. “Wenn es nun wirklich zu einer Eisenbahn-Monarchie (unter Ihrer Führung) kommen soll, so will ich lieber eine Staats-Eisenbahn-Monarchie als eine Privat-Eisenbahn-Monarchi; denn der Staat ist bei uns das Volk, während die Privatbahngesellschaften eine interessierte Kaste sind.” So sprach der radikal-demokratische Bundesrat Jakob Stämpfli zu seinem verhassten Gegner Nationalrat Alfred Escher im letzten Jahrhundert. Alle Ähnlichkeiten mit lebenden Figuren beabsichtigt und Dank an Stadtwanderer für den cleveren Zug-Zusammenhang!

  3. at besucher:

    da würde fritsche schon wiedersprechen. die lage rangiert nach ihm erst an zweiter stelle. wer nur mit der lage argumentiert, käme eher auf luzern, allenfalls auf olten als zentralem ort.
    in der tat ist es die auffassung des (zürcher) stadthistorikers, dass sich zürich radikal und erfolgreich in der industrialisierungsphase aus dem eidgenössischen mittelfeld an die spitze der schweizer städte entwickeln konnte, weil die stadt verkehrsknotenpunkt wurde, zuerst bezüglich der eisenbahn, dann (hier nicht besprochen) wegen dem flughafen und dem s-bahnnetz.
    das hat zürich definitiv den vorrang gebracht.

    fritzsche hält das im übrigen ohne grosses lob und grossen tadel fest. er ist überzeugt, dass es in jedem land ein zentrum braucht, in das man auch investieren soll, um den internationalen anschluss nicht zu verpassen. seines erachtens kann das heute nur zürich sein.

    im gespräch zwischen mir und iwan rickenbacher kamen dann noch einige weitere spezialitäten, die zürichs stellung begründen, zum vorschein:

    die leistungen zürichs als finanz- und als denkplatz. das hat unternehmer, ingenieure, wissenschafterInnen und künstlerInnen angezogen, die das erfolgreiche gemisch aus materiellem und kulturellem reichtum in zürich begründet haben.

    politisch am zürcher erfolg ist von belang, dass sich die stadt gegen den kanton durchsetzen konnte, zahlreiche gemeinden aufgenommen hat und ein lang anhaltendes wachstum erlebt hat. die region liess die ausbildung der grössten agglomeration der schweiz und den führenden metropolitanraum zu. anders als basel und genf, denen das umland fehlt, und bern, lausanne oder st. gallen zu stark durch das land kontrolliert werden, ist zürich die räumliche integration der region gut gelungen.

    ich habe das mit folgendem bild zusammengefasst. der raum zürich ist kein ei, kein spiegelei, sondern ein rührei, das vom zentrum her zum brodeln gebracht wurde.

    ob alle dem wurde aber auch die frage aufgeworfen, ob zürich für die schweiz nicht ein problem sei, weil es zu mächtig werde, und weil es sich zu wenig darum kümmere, was es sonst alles in der schweiz gibt.
    nun ja: das ist vielleicht nicht das problem zürichs, aber der anderen grossstädte, dass sie diese lücke viel zu wenig zu nutzen wissen.

  4. @stadtwanderer

    gebe dir vollkommen recht, natürlich haben auch andere faktoren zum aufstieg zürichs geführt. die erfolgsstory zürich wäre aber ohne die perfekte Lage nicht möglich gewesen. Luzern und Olten sind nicht besser gelegen, wenn man das Mittelland stärker gewichtet als den Alpenraum oder Jura. ausserdem bezweifle ich dass diese städte ernszunehmende konkurrenten waren der sich damals herausbildenden Industrie- und Finanzzentren.

    auch bei der vergabe der wichtigen kompetenzen war die zentrale lage massgebend, sowie die politische grösse. Die wichtigen Kompetenzen wurden auf der Achse Lausanne-Bern-Zürich vergeben. Basel zB hatte wohl nicht das kleinere wirtschaftliche potential als Zürich, die räumliche und politische eingeschränktheit hätten aber nie die selbe entwicklung zugelassen. Zürich kann sich auch froh wissen, dass Bern “hauptstadt” wurde und man dafür mit der ETH “entschädigt” wurde.

    Zürich ist für mich heute die einzige metropole der Schweiz, da sie als einzige stadt ein komplettes angebot hat, von ausbildung über kultur, medien und infrastruktur. wirtschaftlich ist die Schweiz aber diversifizierter und es ist daher wichtig, dass auch andere städte gezielt gefördert werden in ihren stärken. der polyzentrische ansatz ist daher der richtige weg. auch bringt das zusammengehen europas neue perspektiven, gerade für die grenzstädte genf und basel. solche langfristigen entwicklungen müssen in die heutige diskussion unbedingt einfliessen.

  5. Es wär gut, nicht nur vom grossen Aufstieg Zürichs zu berichten, sondern auch von der Sättigung des Wachstums.
    Der Flughafen stagniert, die HUB-Strategie ist gescheitert. Zürichs Flughafen schafft heute für andere an.
    Die Versicherungen und die Banken floppen; ohne veränderte Rahmenbedingungen durch die Politik und Geld des Staates wäre die Zürcher Wirtschaft in den letzten 5 Jahren kräftig vor die Hunde gegangen.
    Zürich ist Teuer. Fast nirgends auf der Welt ist das Leben so unerschwinglich wie in Zürich.
    Die globalen Banker Zürich können schon lang nicht mehr mir der SWISSAIR von Kloten aus nach New York fliegen. Sie können sich auch keine neuen Villen in den noblen Vororten der Stadt leisten. Denn neuerdings besteht ihr Bonus aus den wertlosen Papieren, die in den Giftschränken der Banksafes zu Hauf lagern.
    Ich frage mich, warum man das ausblendet? Etwa darum, dass so zu sein, wie Zürich ist, erstrebenswert wird?
    Propagandistische Standortwerbung brauche ich nicht.

  6. gouverner c’est prevoir.
    zürich hat zusammen mit seinen nachbarkantonen schon sehr früh (zu beginn der 80 er Jahre)konsequent auf die s-bahn gesetzt und massive (milliardenfache) infrastrukturausbauten (z.T. mit bundeshilfe) getätigt, z.b. unterirdischer hauptbahnhof zürich (gegenwärtig wird der zweite tiefbahnhof gebaut), mehrere überwerfungen und tunnels auf den zufahrten zum hauptbahnhof (z.b. tunnel stadelhofen-stettbach)und neuen strecken. gleichzeitig wurde ein integrierter überkantonalen tarifverbund realisiert, der zvv.
    bern ging demgegenüber vom konzept aus, die s-bahn ist gebaut. dementsprechend wurde mitte der 90er jahre die heutige s-bahn auf dem bestehenden in vielen bereichen einspurigen streckennetz in betrieb genommen (.z.b. bern – krezers – neuenburg). am bahnhof bern wurde mit ausnahme der perronverlängerung von 2004 (“die welle”) nichts gemacht. erst vor wenigen wochen wurde publik (der stadtwanderer berichtete darüber) ohne einen tiefbahnhof kann das künftige verkehrsaufkommen nicht bewältigt werden, mit all den damit verbundenen negativen auswirkungen auf die bahnfahrerinnen und bahnfahrer im grossraum bern und z.t sogar darüber hinaus. der tiefbahnhof wird mehr als 2 milliarden franken, ist heute noch in keinem bundesprogramm eingestellt, d.h. die finanzierung ist, wir frau regierungsrätin egger unlängst sagte, noch nicht gesichert und der bahnhof wird wohl erst nach 2025 fertig werden. mit dem libero besteht zwar richtung solothurn ein tarifverbund aber thun, freiburg, biel und auch neuenburg haben noch ihre eigenen tarifverbünde.

  7. @ besucher2
    Die Schwächen oder Probleme von Zürich sind auch eine Chance für Bern, es besser zu machen. Ich meine, vieles rund um Zürich ist einfach “natürlich” gewachsen. Das kommt mir vor wie ein Baum, der im Wind steht und dann halt eben auch schief wächst.

    Bern hat nun die Chance, seinem Baum Stützen zu verpassen, sodass trotz steifer Brise das zarte Pflänzlein stramm gen Himmel wächst und so kein Wildwuchs entsteht. Sowas nennt man Raumplanung.

  8. @besucher2
    zürich hat, wie richtig festgestellt wird, auch seine schattenseiten. aber dennoch ist es nicht verboten, gute sachen von zürich zu lernen und in sachen s-bahn hat zürich viel geleistet. sogar metrobasel hat unlängst damit begonnen, in sachen öffentlicher verkehr von zürich zu lernen und entsprechende diskussionen und aktionen lanciert. warum sollte das bei metrobern nicht auch möglich sein, denn immerhin hat der bahnhof bern die zweitgrössten passagierfrequenzen der schweiz .d.h. sowohl um zur arbeit zu gelangen wie auch in der freizeit nutzt die bevölkerung weit über die stadt- und kantonsgrenzen hinaus, das angebot der berner s-bahn und des fernverkehrs sehr rege.

  9. @stadwanderer
    du schreibst “politisch am zürcher erfolg ist von belang, dass sich die stadt gegen den kanton durchsetzen konnte, zahlreiche gemeinden aufgenommen hat und ein lang anhaltendes wachstum erlebt hat. die region liess die ausbildung der grössten agglomeration der schweiz und den führenden metropolitanraum zu. anders als basel und genf, denen das umland fehlt….” letzteres stmmit insoweit, als damit, wegen der grenzlage genfs und basels, das schweizerische umland dieser beiden städte gemeint ist. aber gerade die zusammenarbeit mit dem ausländischen umland hat in basel, (dank der region basiliensis und metrobasel) in den letzten jahren stakt zugenommen. auch in genf hat die zusammenarbeit mit dem französichen umland in den letzten jahren fortschritte gemacht. genf und insbesondere basel haben in den letzten jahren mithin einen ähnlichen drive wie zürich entwickelt. gemeinsam ist allen dreien, dass die städte die motoren dieser entwicklung sind und zwar sowohl wirtschaftlich wie auch politisch.

  10. Ein Müsterchen aus dem Alltag: Für Biel – Fribourg brauche ich heute im günstigsten Fall mit umsteigen in Bern 63 Minuten. 16 Minuten davon darf ich im zügigen Bahnhof Bern verblötterle. Wer in Bern aussteigt, bekommt zwar “Zürich HB” als nächster Anschluss durchgesagt, nicht aber “Fribourg, Lausanne, Genève, Genève-Aeroport” – obwohl beide Züge zur gleichen Minute abfahren…

  11. die sbb hat den umzug von bundesbern nach metro zürich schon lange durchgezogen. die fahrplanplaner brauchen einen ausgangspunkt. und dies ist der “noch” grösstenteils sackbahnhof zürich. rein geografisch müsste eigentlich der knotenpunkt, also der ausgangspunkt, olten sein. olten ist aber so unrelevant, dass dort die wenigsten ic’s, ice’s etc. halten. mich würde interessieren wie das im güterverkehr ist. ich kann mir nicht vorstellen, dass ein container von deutschland der nach italien will über zürich geleitet wird. aber wer weiss… irgendwoher musss ja das defizit kommen 😉

    wie war das vor der ära der s-bahn in zürich? war da zürich auch schon eine metropole? ich mag mich erinnern, dass als einzige regionalverbindung mit s-bahn charakter der bananenexpress von gleis 1 losfuhr. der goldküstenexpress hiess, glaube ich, wie eine sehr bekannte bananen sorte. wie kamen damals die pendler nach zürich. wann wurde der flughafenbahnhof gebaut? auch dies scheint mir noch nicht allzulange hersein. gab es da nicht eine postauto verbindung von bern nach zürich flughafen, die fast schneller war als der reiseweg von zürich nach kloten?

    wann genau und mit was genau begann der aufstieg von zürich? ich glaube nicht, dass nur den finanzplatz zu zürichs aufstieg beigetragen hat. ich denke aber schon, dass die infrastruktur massgeblich dazu beigetragen hat. dies sollte bern kopieren. beispiel eine grössere a6. ostring schliessen und andere zufahrtswege suchen. besseres s-bahn netz. angenehmere umsteigemöglichkeiten (für unsere bieler nachbarn 😉 ). in all den punkten müssten die politiker mitsprechen, wird aber nicht gemacht. dafür ist der stapi bei der eisenbahnbrücke wenn dieses 100 jährige bauwerk geehrt wird. er (mit seinen amts-und regierungs-kollegen) sollte doch ein eigenes bauwerk in angriff nehmen. vielleicht etwas bedeutungsvolleres als “nur” der immer noch nicht autofreie bahnhofplatz.

  12. auch von mir ein müsterchen, das ich mir für ende jahr aufgespart habe.
    ich bin dieses jahr 83 mal im bahnhof bern eingefahren. davon musste die züge(s-bahn oder schnellzüge)sage und schreibe 71 mal vor dem bahnhof bern halten!! letztes müsterchen heute: IR Biel ab 9.51, Bern an 10.18; effektive Ankunftszeit in Bern 10.37! (selbstverständlich machte der zug auch seinen fast schon obligaten halt auf der lorrainebrücke.)

  13. Das UVEK hat heute mit sechs Medienmitteilungen aber ein mächtiges Info-Paket zu den Themen Raumplanung und Verkehr losgelassen, siehe meinen verlinkten Namen (Datum: 19.12.2008). Zum Glück stehen ein paar ruhige Tage zum Lesen an 🙂

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