es-kommt-mir-vor-wie-wenn-zwillinge-sich-streiten

„was war in canossa?“ wollte H.W. wissen. gute frage, die gar nicht so einfach zu beantworten ist!, sagte der stadtwanderer auf anfrage. deshalb haben wir unsern sonderreporter heinrich-gregor der allerletzten ausgesandt, um nachzuhacken. beim abendspaziergang gewährte er uns ein exklusiv-interview zu seinem frieren auf der hasenburg und dem zusammenhang mit der europäischen geschichte des 11. jahrhunderts. hier die live-mitschrift, ohne umschweife und socken für die blogosphäre!


das römische reich der salier im 11. jahrhundert mit der reise von könig heinrich iv. von speyer nach canossa im winter 1076/77, quelle: perthes atlas geschichte, stuttgart 2006, 4. auflage (anclickbar, doppelclick um zu vergrössern)

„wer war in canossa?“

papst gregor vii. hielt sich im januar 1077 auf der burg canossa in der toskana auf, weil er das nahen des römischen königs heinrich iv. nicht erwartet hatte und die alpenüberschreitung des herrschers als militärischen angriff fürchtet. deshalb hatte ihn die einflussreiche herzogin von tuszien, mathilde, eine treue dienerin des papstes, die burg als winterlicher aufenthaltsort angeboten.“

„warum kam der deutsche könig nach italien?“

deutsch ist in diesem zusammenhang ein gefährliches wort. der ostfränkische könig, aus sachsen oder franken stammend, wurde 962 zum römischen kaiser gekürt; seither trug er den titel römischer könig. das sicherte ihm das vorrecht zu, vor allen anderen königen auf den kaisertitel zu aspirieren. das wort deutsch gab es noch gar nicht, nur das italienische wort teodesc, was aus dem volke kommend meinte, und im gegensatz zu römisch verwandt wurde, das man mit traditionsbewusst übersetzen könnte.

„also dann verbessert: was beschäftigte den papst so, wenn ein römischer kaiser nach italien kommt?“

die könige aus dem norden stützten ihre macht in der regel auf die reichskirche: die bischöfe, einerseits oberste seelsorger, anderseits mächte grundherren und träger königlicher rechte, waren ihr eigentlicher machtinstrument. 1075 beanspruchte der papst, allein oberster hirte zu sein und niemanden über sich zu beanspruchen. deshalb lehnt er es auch ab, dass könige, auch römische, die bischöfe einsetzen durften, – und wachte genau, dass das in seinem einflussgebiet nicht mehr geschah. dieses reichte nicht nur bis an die grenzen des kirchenstaates, mindestens ganz rom, sprich italien, zählte er dazu. eigentlich meinte er aber auch, dass er über die burgundischen bischöfe, die meisten aus spätantiken städten kommend, bestimmen dürfe.

„wollte der könig in canossa einen bischof einsetzen?“

nein, aber könig heinrich iv. hielt sich im fall von mailand nicht daran, und er wurde dafür gemassregelt. er versammelt als reaktion darauf 1076 die meisten bischöfe nördlich der alpen in worms, um den papst abzusetzen. die bischöfe von basel und lausanne, die beiden “hochburgunder” nahmen auch daran teil. als der papst davon erfuhr, war er ausser sich und bestrafte den könig und die ihm treuen bischöfe mit der strengsten strafe: dem kirchenbann. würden sie innert einem jahr und einem tag nicht busse tun, würden ihre untertanen die pflichten, die sie ihnen gegenüber eingegangen war, nicht mehr einhalten müssen.

„aha, heinrich kam nach canossa, um busse zu tun!“

richtig, und er befand sich in einer misslichen lage. die herzöge von schwaben, von bayern und von kärtnen hatten im verlaufe des jahres 1076 die seite gewechselt. sie haben ihrem könig die treue aufgekündigt sich dem papst angeschlossen. sie sperrten die alpenübergänge, insbesondere die beliebt brenner-route, weshalb der papst nicht mehr mit dem rechtzeitigen erscheinen des königs in italien rechnete. der könig war schon abgeschrieben, und das eintreffen des papstes nördlich der alpen wurde schon vorbereitet. doch heinrich, mit einer savoyerin verheiratet, wählte den weg durch das im ergebene burgund, und überstieg mitten im winter den savoyischen mont cenis, was italien in aufruhr brachte. jetzt verschanzte sich gregor in canossa, das schutz bot.

„ja, und was zum t.. tschuldigung, was geschah jetzt zwischen papst und kaiser?“

heinrich kam als bittsteller, mit den burgundischen bischöfen im tross, aber ohne heer. dafür hatte er den abt von cluny, seinen taufpaten und den einflussreichsten mönch, bei sich. dieser verhandelte für den könig mit dem papst. sollte heinrich den papst als oberster schiedsrichter in allen streitfällen nördlich der alpen anerkennen, würde er ihn vom fluch befreien. das war das ergebnis. heinrich scheint eingewilligt zu haben und spielte danach das vorgeschriebene ritual: nur mit dem büsserhemd bekleidet bat er drei tage und nächte um vergebung, – immer ohne erfolg. doch am vierten tag, wusste er, würde man ihn erhören. heinrich wurde denn auch in die burg gelassen, um mit dem papst ein rituelles abendmahl einzunehmen.

„was kam auf den tisch?“

huch, das weiss ich nicht …

“… sehr schade, war sicher lecker …”

der geschichte nach war das aber gar nicht wichtig. heinrich gab sich nämlich wortkarg, ass nichts, trommelte nur mit den fingern auf den tisch, ganz nach dem motto: wann nur kann ich gehen!

„wohin wollte der könig?“

der junge könig, der sein schmach der exkommunikation abgelegt hatte, machte sich zurück über die alpen, ganz im osten, denn die herzöge, welche die alpen sperrten, wollten nicht nachgeben. sie wählten – mit duldung des papstes – einen gegenkönig: rudolf von rheinfelden, herzog von schwaben, wurde nun zum grosse gegenspieler von heinrich. er sollte den norden regieren, der papst den süden. und rudolf sollte burgund an das neue reich binden. denn er war 1060, als heinrich noch in die windeln machte, von heinrichs mutter mit der verwaltung von burgund betraut worden und war seither im aaretal und am genfersee reich begütert.

„2:1 für den papst!“

natürlich kam es zum krieg zwischen heinrich und rudolf. wer militärischer sieger war, war nie so recht klar. aber rudolf wurde 1080 in einer schlacht verletzt, und verlor sein rechte hand! ausgerechnet, die schwurhand hatte er nicht mehr, – und er starb an den folgen der verletzung. nach ihm wagte es niemand mehr, heinrich entgegenzutreten, und der machte sich sofort daran, burgund zurückzugewinnen. die herren von fenis, kaisertreue seit der ersten stunde im reich, macht er zu grafen, die auch über den gau härkingen verfügen durften. damit sperrten sie den weg von rheinfelden hinunter, über den grossen st. bernhard. und am genfersee doppelte er nach: der bischof von lausanne erhielt verschiedene seignieurien, vor allem die von st. saphorin.

„gabs damals schon guten wein?“

ob er gut war, weiss ich nicht, doch er kam im 11. und 12. jahrhundert mächtig im schwang. der letzte burgunderkönig aus dem hause der welfen, rudolf III., der sein reich gegen die aufstrebenden adeligen nicht mehr zusammenhalten konnte, hatte sich 999 frustriert nach neuenburg zurückgezogen, lebte dort wie ein landgraf und liess im nahe gelegenen kloster bevaix am neuenburgersee erstmals weinreben anpflanzen lassen. der dezaley wiederum ist ein wein, dass der lausanner bischof im 12. jahrhundert einführte.

„konnte könig heinrich mit weisswein anstossen, oder feierte der papst mit rotem?“

heinrich überwand die anfängliche krise. 1084 ging er gestärkt nach italien, diesmal mit einem heer, und stürtze den verhassten gregor vii. jetzt setzte e r einen gegenpapst ein, der ihn, heinrich, im gegenzug zum kaiser krönte. gregor lebte danach in der verbannung, wo er zwei jahre später auch starb. seine nachfolger versuchten den streit zu schlichten, doch brauchte es noch fast 40 jahre, bis man sich wieder einigermassen einigte. burgund wurde damals wieder päpstliches einflussgebiet.

„und die moral von der geschicht?“

papst und kaiser waren im mittelalter wie zwillinge: der eine ist nichts besonderes ohne den anderen, – was sie aneinander kettet. doch jeder der beiden möchte der wichtigere sein. der eine sagt: ich bin zuerst auf die welt gekommen, und der andere sagt, ich bin dafür stärker. genauso kommt es mir vor, wenn man an canossa denkt: wie wenn zwillige sich streiten! in diesem bild wäre der papst der erstgeborene, aber starke im himmel, während der kaiser als zweiter geboren wurde, aber die militärische macht auf erden besass. die exkommunikation des kaiseranwärters durch den papst war für die menschen im jahre 1077 ein beispielloses stück, während man den sturz des ungenehmen papstes seit den zeiten von otto I. kannte. gregor hatte mit seiner aktion den nimbus des beschützers der christenheit, den der römische könig hatte, zerstört. mit der regelung des konfliktes wurde das sakrale königtum, seit den zeiten chlodwigs am ende des 5. jahrhunderts, aufgebrochen: für das ewiggültige wurde der papst zuständig, wenn es auch erst im himmel realisiert werden konnte, während der kaiser für das zeitlich zuständig war, immerhin auf erden. und diese temporale macht verschrie papst gregor nach gutdünken: teodesc wurde in dieser zeit erfunden und hatte der politisch unkorrekten nebenton: volkstümlich! und das spaltete den adel: er war nicht mehr die elite des reichs, sondern simpler interessenvertreter der tradtionalisten oder der volkstümlichen!

„und warum interessiert sich der stadtwanderer dafür?“

der streit der grossen spaltete auch die kleinen in hochburgund. diesseits des juras gewann der kaiser zwischen basel und lausanne vorerst die oberhand, während der papst vom grossen st. bernhard hinunter durchs voralpengebiet, über den hauenstein nach rheinfelden wichtiger blieb. die herren von fenis stiegen unter heinrich iv. zu mächtigen grafen auf, die mehrere bischöfe stellten, zerstörte städte wieder aufbauten oder neue gründeten und schlieslich die grafen von neuenburg wurden. zu ihren eigentlichen gegenspielern wurden die zährigner, mit dem haus rheinfelden ehelich verbunden. sie erbten beim aussterben dieses geschlechts ihre güter und ihre rechte in burgund, die sie zum aufbau ihres neuartigen territorialstaaten mit neuen strassen und neuen städten nutzten.

„danke, stadtwanderer, für das gespräch. ich hoffe, du bist nicht zu fest ausser atem gekommen. deine leserInnen wissen jetzt hoffentlich besser, warum du frieren gingst. doch sag: auf wessen seite stehts du? auf der von fenis oder der von zähringen?“

phahh, so schnell sage ich das nicht!

und lief davon …

heinrich-gregor der allerletzte
reporter vor ort

cal

ich bin der berner stadtwanderer. ich lebe in hinterkappelen und arbeite in bern. ich bin der felsenfesten überzeugung, dass bern burgundische wurzeln hat, genauso wie ich. also bin ich immer wieder auf der suche nach verästelungen, in denen sich die vergangene kultur in meiner umgebung versteckt hält.

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