berns stadtheiliger

was, bern hat einen stadtheiligen? ja, hat-te mal. und das kam so:

die junge stadt bern, im 13. jahrhundert im aufbau begriffen, brauchte, nachdem die zähringer ausgestorben und die staufer nicht mehr stadtherren waren, eine neue herrschaft, und neue geldgeber. das wurde peter von savoyen, und mit ihm kamen auch die juden in die stadt. entstanden ist daraus eine stadtmauer, und die savoyerstadt zwischen zytgloggen- und käfigturm.

die savoyerherrschaft war nicht von dauer, und bern kam danach in habsburgischen einfluss, mit denen die savoyer im sogenannten grafenkrieg lagen. letztlich gewann rudolf von habsburg, und er wurde auch deutscher könig. die anfänglich gute zusammenarbeit mit bern – er verzieh den bernern, dass sie die burg nydegg abgerissen haben, als die savoryerherrschaft aufgehört hatte – wechselte, als der könig die reichsrechte zurückholen wollte. bern schloss sich der burgundischen opposition gegen die könig an, und verweigerte die steuerzahlungen an den könig. dieser griff bern militärisch, versagte jedoch zweimal, schickte aber im folgejahr seinen sohn, rudolf den jüngeren, der neuer herzog von schwaben werden sollte, nochmals vorbei. der schlug dann die überraschten bern auf der schosshalde. bern blieb zwar reichsstadt, musste aber kriegskontributionen zahlen und steuerschulden abbauen. dafür brauchte man wieder geld, das man bei den verblieben juden lieh.

die beiden habsburger sind 1291 verstorben, ruduolf der vater und rudolf der sohn. albrecht, ebenfalls sohn von könig rudolf, zwischenzeitlich herzog von österreich, schaffte den sprung nicht an die spitze des reichs, und an seiner statt wurde adolph, graf von nassau, zum deutschen könig gewählt. dieser hatte wenig rückhalt im adel, stärkte seine position aber, indem er die reichsstädte förderte. so bekam auch bern einen königlicher fürsprecher. der verlangte von bern zwar eine verfassungsreform, denn nach der niederlage auf der schosshalde war man gründlich zerstritten. ulrich von bubenberg trat als schultheiss der stadt ab, und mit jakob von kienberg bestellte der könig einen auswertigen kleinadeligen zum neuen schultheiss. so bekam die junge stadt neue aussichten.

mitten in diesen neuaufbruch hinein platze eine schreckliche nachricht: der kleine rudolf (ruof) wurde tot in berns gassen gefunden! schuld seinen die juden, die rituelle knabenmorde begehen.

die juden hatten nur den schutz des kaisers oder königs, und so hätte adolph eingreifen müssen. die berner waren sich ihrer sache sicher, führten gegen die juden einen prozess durch, verlangten eine saftige busse, und verwiesen sie schliesslich aus der stadt. angenehme nebenfolge: die schuldscheine für das geliehene geld, das man den habsburgern gezahlt hatte, behielt man in bern zurück und vernichtete sie. bis heute ist es umstritten, ob es ein jüdischer knabenmord war, oder ob das nicht willentlich inszeniert wurde, um die juden zu vertreiben.

der kleine rudolf wurde nun zum stadtheiligen, dem retter aus der not, dem befreier vor den juden (geld lieh man sich danach von lombarden und kawertschen, bankiers aus mailand und lyon). er wurde zuerst in der leutkirche beerdigt, später kam er ins münster. immer wieder sollte man an den knabenmord der juden erinnert werden, selbst wenn die kanonisierung des stadtheiligen nie stattfand.

erst die reformation hat dem ein ende gesetzt. der katholische stadtheilige wurde nun aus dem münster entfernt, wie alles andere, das an die alte, deutsch-katholische kirche im münster erinnerte, mit der reformation eliminiert wurde.

die geschichte des knabenmordes der juden behielt sich aber, – wenn auch protestantischer leseweise: der chindlifresserbrunnen – bern berühmster und in seiner symbolik umstrittnester brunner – führte das motiv im 16. jahrhundert weiter und hat es bis heute in unserem gedächtnis aufbewahrt. demgegenüber ist das gedenken an rudolf, den kleinen toten bub aus berns gassen, vergessen gegangen. gefunden wurde er am 17. april 1294, – also vor 712 jahren, dem tag, an dem man im ganz alten bern den stadtheiligen verehrte. früher mal!

(katholischer) stadtwanderer

cal

ich bin der berner stadtwanderer. ich lebe in hinterkappelen und arbeite in bern. ich bin der felsenfesten überzeugung, dass bern burgundische wurzeln hat, genauso wie ich. also bin ich immer wieder auf der suche nach verästelungen, in denen sich die vergangene kultur in meiner umgebung versteckt hält.

8 Gedanken zu „berns stadtheiliger“

  1. Sehr geehrter Herr Stadtwanderer

    Jetzt habe ich doch sicher rund 1 Stunde mit grossem Interesse in Ihrem Blog gestöbert und ausgezeichnete Anregungen für meine eigenen Streifzüge durch die Stadt erhalten. Aber Sie werden mir erlauben, dass sich mir während all diesem Stöberns doch ab und zu die Haare sträubten.
    Und verzeihen Sie, wenn ich jetzt diese Haarsträubungen nicht aufzuzählen vermag, hatte ich doch nie geahnt, dass ich eine fände, wo mich zu heftigster Bearbeitung meiner Tastatur veranlassen würde. Denn Ihre (katholische) Interpretation, das Motiv des Chindlifressers sei auf den kleinen Buben Rudolf zurückzuführen, ist nun ganz einfach – na ja, ich habe Erziehung und werde mich zu benehmen wissen.

    Der Chindlifresser sei also (und wohl wegen seiner Mütze?) der ewige Jude? Sie reihen sich mit Ihrer Deutung auf\\\’s Köstlichste in all die netten Interpretationen, welche mir bisher zu Ohren gekommen. Wegen den Widderköpfen soll er keltischen Urglauben darstellen, wegen dem Mutzenumzug mit dem Banner soll er den Solddienst (Kardinal Singer), der die Kinder des Landes \\\"frisst\\\", repräsentieren, Quatsch steht auch auf der Tafel des Touristenbüros beim Restaurant, wo er eine Fasnachtsfigur sein soll, notabene rund 25 Jahre nach dem Ende der Fasnacht. Es ist zum Grauwerden!
    Ich werde meine These kurz halten. Nach der Reformation fehlten dem Volk die Heiligen. Wo waren sie geblieben, die man bei alltäglichen Übeln anrufen konnte? Das \\\"einfache\\\" Volk gewöhnte sich nicht einfach so an den neuen Glauben, es verlangte Symbole. Viele Brunnenfiguren aus der Mitte des 16. Jh. sind denn auch Allegorien: der Mosesbrunnen, der Gerechtigkeitsbrunnen, der Anna-Seiler-Brunnen (das wurde er ja erst später, die Tugend des Masses lässt grüssen) usw. Wieso soll der Chindlifresser sich nicht in diese Reihe einordnen? Und zwar als Schmutzli!
    Jaja, Sie haben richtig gelesen. Zu Beginn des 16. Jh. gelangte offensichtlich aus dem Osten die St. Niklausgeschichte in \\\"unsere\\\" Stuben. Mit ihm aber auch Knecht Ruprecht oder eben Schmutzli (als \\\"Kinderschreck\\\" – wir hatten ja damals, vor 68, noch Angst vor dem Samichlous, oder?). Wieso sollte der Chindlifrässer also nicht ein Mittel zur Kindererziehung sein? Im 16. und 17. Jh. waren Flugblätter mit \\\"Kinderfressern\\\" weit verbreitet …

    Werden wir es jemals wissen? frage ich pathetisch. Aber der \\\"Ewige Jude\\\", so nah dem Judenviertel – nö, da müssen Sie sich, Herr Stadtwanderer, mit dem Vorwurf auseinandersetzen, Ihrer geneigten Leserschaft einen Bären aufbinden zu wollen (worüber Sie gar artig anderswo in Ihrem Blog referiert haben).

    Mit freundlichen Grüssen (und einem Schmunzeln)

    Ihr ergeben Stadtspazierer

  2. dankedanke, fuer den beitrag. auseinandersetzung ist der sinn des bloggens …

    doch: einen bären will ich sicher niemandem aufbinden. dafuer weiss ich zu gut, wie schwer die sind und wie schwach ich dagegen bin. man stelle sich vor: ich mit meinen duennen armen und einer schnur bewaffnet, wuerde versuchen, einem stadtspazierer einen richtigen baeren aufzubinden! das wäre ja die lachnumer berns ..

    das mit den symbolen in den ersten nachreformatorischen jahren habe ich gut verstanden. zu lachen gab es ja wirklich nichts mehr in den jahren 1528 bis 1555. sogar das singen war in bern verboten. es galt nur noch das reformierte wort!

    dabei war man so kulturfeindlich, dass die ganze ortsansässige kunst, die malerei, das komponieren und die dichtkunst aus dem spätmittelalter verloren gingen.

    so musste man hans gieng, der uechtländer aus dem benachbarten freiburg, engagieren, um die berner brunnen der stadt von den katholischen heiligen mit den reformatorischen vorbildern zu schmuecken.
    ausgerechnet!, sag ich da, denn freiburg blieb ja nach der badener disputation fuer immer katholisch!
    und ich frage: ist es da so abwegig, auch in der symblik der fruehen reformation nach traditionellen themen zu suchen?

    sicher, der kleine brun, der stadtheilige seit dem 14. jahrhundert, wurde von den reformatoren genauso aus dem muenster entfernt wie andere katholische sinnbilder. der gedanke aber, der damit verbunden war, blieb: der unerklärbare kindertod, fuer den es einen schuldigen brauchte!die meist versteckte judenfeindlichkeit ist ja nicht einfach verschwunden, mit der reformation …

    davon habe ich mich inspirieren lassen. ueber den schmutzli denke ich aber gerne nach, ich habe schon ein spur …

  3. Mein Herr, eben durfte ich lesen, dass ein mächtiger Mann in der brandenburgischen Mark, Adam Graf von Schwarzenberg, artig Katholik war. Notabene unter Georg Wilhelm, dem Calvinisten.

    Wieso sollte Hans Gieng (so denn der Chindlifresser von ihm) nicht im reformierten Bern arbeiten dürfen? Und wer sagt denn überhaupt, dass Gieng Katholik war? Es dürften wirre Zeiten gewesen sein, mit Fundis und Realos durchmischt; schon Brecht sagt uns aber, dass vor der Moral (und also dem Glauben) das Fressen kommt …

    Ihre Spurensichtung oder -verfolgung lässt Hoffnung zu?

    Ihr ergebener Stadtspazierer

  4. PS: Mir ist eben eine meiner erwähnten Haarsträubungen in Ihrem Blog eingefallen (ich bin mir aber nicht mehr sicher). Schrieben Sie nicht irgendwo, Freiburg sei als \\\"gleichberechtigter\\\" Ort XYXY in den Eidgenössischen Bund aufgenommen worden? Freiburg war nie \\\"gleichberechtigt\\\" (durfte etwa ohne Zustimmung der Tagsatzung keine aussenpolitischen Verträge abschliessen, wohingegen Bern usw. dies konnten).

  5. uiuiui, gleich noch mehr kommentare. ich denke, sie sind zu sehr durch den jetzigen zeitgeist bestimmt:
    . religionszugehörigkeit mag heute etwas indivudalistisches sein. jeder und jede kann sich selber und frei entscheiden, ob und was man glaubt. das war aber nicht immer so. wer herrschte, bestimmte auch die religion. gerade in zeiten des wechsels war man da unerbitterlich. vor allem dann, wenn religion zum entscheidenden unterscheidungsmerkmal zum nachbar wurde. das war nach der reformation zwischen bern und freiburg der fall; die einen strikte reformiert, die anderen strikte katholisch. spätestens mit der von papst paul III. eingeleiteten gegenreformation waren die religiösem, das heisst auch regionalen grenzen klar. auch wenn ich es nicht weiss, ich halte es fuer unwahrscheinlich, dass hans gieng als reformierter in bern gearbeitet und freiburg gelebt hätte. da hätte er eher in bern wohnsitz genommen, und hier als bildhauer gewirkt. anders als die familie von diesbach, die die reformation in bern nicht mitgemacht und deshalb nach freiburg gegangen ist.
    . das wort gleichberechtigt kannte alte eidgenossenschaft nicht. das hat erst napoleon bonaparte in die mediationsverfassung von 1803 geschrieben, um den neuen, modernen kantonen die möglichkeit zu geben, in ihrem grenzen ungestört die revolutionären ideen zu realisieren. ohne die gleichberechtigung mit den kantonen aus der 13örtigen eidgenossenschaft wäre das nicht gegangen. zu schnell hätte man versucht, die alten untertanenverhältnisse wieder herzustellen. in der alten eidgenossenschaft kannte man den gedanken der gleichheit ueberhaupt nicht. uri, schwyz und unterwalden pochten darauf, die ältesten freiheitsbriefe gehabt zu haben, und damit die vorhut im bund zu sein. selbst luzern anerkannte man nicht als gleichberechtigter gruender, obwohl der freiheitsbrief der obwaldner kaum älter ist als der beitritt luzerns zu den eidgenossen. zuerich wiederum brachte die kantone zug und glarus als ihre \\\"habe\\\" mit in den bund ein, und auch sie waren nur minderen rechts. man durfte sie zu militärischen hilfeleistungen verpflichten, ohne dazu im umgekehrten bedarfsfall verpflichtet gewesen zu sein. bern trat vorerst allen bei; zuerst aber auch nur den bevorrechteten innerschweizer orten, und das buendnis mit zuerich und luzern erfolgte er 70 jahre später, als man die eroberten gebiete im heutigen aargau aufteilen musste. bern hat dann, nochmals 60 jahre später, im stanser verkommnis, die aufnahme von solothurn und freiburg in den bund erwirkt, während andere verbuendete der stadt bern, wie etwa colmar und strassburg nie aufgenommen wurden. solothurn und freiburg hatten damals etwa den rang, den zug und glarus in der eidgenossenschaft hatte. freiburg hatte zudem das problem, welsch zu reden, was aus den burgunderzeiten stammte, und sich trotz vielfältiger herrschaft der habsburger und kyburger aus dem schwäbischen raum erhalten hatte. freiburg durfte, als es in den bund der eidgenossenschaft aufgenommen wurde, nicht einmal die sprache behalten, die die verhandlungssprache in der tagsatzung war exklusiv deutsch (und noch heute wird im ständerat nicht simultanuebersetzt!). von gleichberechtigung im modernen sinne also keine rede.
    ich glaube uebrigens nicht, dass ich das so undifferenziert geschrieben hätte. als gebuertiger (und katholisch getaufter) freiburger, der zweisprachig aufgewachsen ist, bin ich mir dessen sehr bewusst.
    so, jetzt erwarte ich schon fast gegenrede, vom stadtspazierer!

  6. Uffuff, Herr Stadtwanderer, welcher meiner kleinen Kommentare erregte dergestalt Ihren gerechten Zorn, dass Sie mich zeilenlang mit wahrlich stringenten Argumenten zu unserem Disput eindecken? Seien Sie versichert, keineswegs werde ich mich zur Vermessenheit hinreissen lassen, Ihnen zu widersprechen!

    Sehen Sie, es wird das Alter sein. Die Kräfte des Geistes nehmen ab, das Kurzzeitgedächtnis funktioniert offensichtlich nicht mehr richtig; wie konnte oder könnte ich es wagen, Ihren spannenden Blogeinträgen \\\"Undifferenziertheit\\\" anzudichten.
    Habe ich aber nicht auf die Möglichkeit eines Irrtums hingewiesen? Das Alter fordert seinen Tribut. Gewiss habe ich mich getäuscht, als mir schien, ich hätte irgendwo in Ihrem Blog ein in Zusammenhang mit Freiburg und der Eidgenossenschaft undifferenziertes \\\"gleichberechtigt\\\" gelesen. Doch ich bin sicher, Sie werden mir diesen meinen geistigen Müdigkeitsanfall verzeihen …

    Jaja, die von Diesbach. Welches mögen ihre Motive gewesen sein, das \\\"Kettenhaus\\\" unten an der Münstergasse aufzugeben? Oder gab es da nicht noch einen Familienzweig, der sich zur Reformation bekannte und in Bern blieb?

    Aber wie dem auch sei, ich möchte unser Palaver wieder auf den Chindlifresserbrunnen zurückführen. Noch sind Sie mir eine Antwort schuldig: Haben Ihre Nachforschungen bzw. die \\\"Spur\\\", welche Sie erwähnten, Früchte getragen?

    Und selbstverständlich mag Hans Gieng ein guter Freiburger und also Katholik gewesen sein (die Hinweise zu seiner Person sind ja sehr widersprüchlich). Doch dass zwischen Bern und Freiburg nach der Reformation in Bern die Grenzen geschlossen wurden und kein Handel aller Art mehr stattfand, scheint mir doch abwegig. Warum sollte ein katholischer Freiburger nicht für Bern ein paar Brunnenfiguren herstellen dürfen (solange die Figuren katholisches Empfinden nicht beleidigen)?

    Bei meinen Stadtspazierereien werde ich also vorläufig weiterhin behaupten müssen, dass die These, wonach der Chindlifresser der \\\"ewige Jude\\\" bzw. ein Mahn- oder Denkmal für den kleinen ermordeten Rudolf ist, dem Reich der Fabeleien zuordnen.

    Mit freundlichen Grüssen

    Der Stadtspazierer

  7. geduld, geduld, ich bin ja in den ferien, gegenwartig in einer ganz anderen stadt, die mich fasziniert. ich werde schon antworten, aber erst, wenn ich wieder in bern bin, denn es braucht recherche.

  8. Sehr geehrter Herr Stadtwanderer

    Ein klitzekleiner Zufall liess mich unsere Disputation um den Chindlifrässerbrunnen in Erinnerung rufen. Leben Sie noch?

    Falls ja und – ich hoffe es – bester Gesundheit, möchte ich bescheiden die Frage erlauben, ob denn Ihre Spurenverfolgung zu einem Resultat führte. Denn es waren Sie, sehr geehrter Herr Stadtwanderer, der in Zusammenhang mit dieser schönen Brunnenfigur von einer \\\"Spur\\\" sprach gleichsam Winnetou, als er sah, was alle anderen nicht sahen …

    Und?

    Ihr ergebener Stadtspazierer

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