von stammbäumen und generationen der schweizer parteien

eine kleine geschichte der parteien in der schweiz und eine ebenso knappe analyse der systematischen veränderungen im hiesigen parteiensystem.

sie sass vor dem berner restaurant “diagonal” und ass den feinen frühlingssalat. dazu stöberte sie in der nzz, blieb beim artikel über die geschichte der parteien in der schweiz hängen, konsultierte mit dem finger die geschichtlichen entwicklungen von svp, cvp, fdp und sp. als ich sie fragte, ob ich für meinen blog eine bild machen dürfe, lächelte sie und meinte, sie sei stolz in der ältesten partei der schweiz zu sein. knips!

jacqueline fehr, sp-nationalrätin aus winterthur, verarbeitete gerade den beitrag von politikwissenschafter adrian vatter zur genealogie der parteien in der schweiz. er zeigt auf, wie die liberalen und konservativen parteien in der schweiz im 19. jahrhundert aus vereinen entstanden, die ein milieu repräsentierten und weltanschauliche zielsetzungen hatten.

mit der einführung des nationalen parlamentes entstanden in der schweiz nicht einfach politische parteien, sondern fraktionen: das waren (und sind) zusammenschlüsse von politikern mit ähnlicher gesinnung. den anstoss zu eigentlichen parteien gab die linke, die ihren ursprung mehr in internationalen assoziation der arbeiterbewegung hat. die gründeten nationale sektionen, unabhängig davon, ob man im nationalen parlament vertreten war oder nicht. so entstand 1888 die sp, was parteigründungen der fdp (1894), der demokraten (1905), der katholiken (1912) und der liberalen (1913) auf nationaler ebene zur folge hatte.

am ende des ersten weltkrieges änderte das schweizer stimmvolk auf druck der sp das wahlrecht für den nationalrat, was neuen, kleinen gruppierungen chancen bot. unmittelbar damit verbunden in die entstehung der evp (1919), der kommunisten (1921), mittelbar davon abhängig sind die anfänge der bgb und des landesrings der unabhängigen (national je 1936 gegründet). lange zeit blieb das parteienspektrum so; genau genommen bis zur einführung des “zauberformel” für die zusammensetzung des bundesrates mit je 2 vertretern von fdp, kv (heute cvp), sp und einem aus den reihen der bgb (heute bgb).

die ersten, die auf die grosse koalition reagierten, waren die leute von der nationalen aktion, die 1961 eine rechte oppositionspartei gründeten; 1971 kamen die republikaner zweite rechtspartei dazu. das gegenstück dazu bildeten die revolutionäre-marxistische liga 1969 und die progressiven organisationen der schweiz 1971 auf der linken seite. auf die veränderungen in gesellschaft und politik regierten die konservativen parteien mit fusionen: in der cvp schlossen sich 1970 verschiedene christliche strömungen konserevativer und sozialer art zusammen, in der svp folgte im jahr darauf der zusammenschluss von bgb und teilen der demokraten. eine substanzielle erweiterung erfuhr die parteienlandschaft erst 1983 mit der bildung der grünen partei wieder; 1985 folgt die bildung der eidgenössisch-demokratischen union, ein jahr darauf die der autopartei und 1997 die der csp, die sich ausserhalb der cvp organisierte. die drei jüngsten zweige im stammbaum der schweizer parteien betreffen die grünliberale partei (2007), die bürgerlich-demokratische partei (2008) und die piratenpartei (2009).


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meinerseits habe ich, auf dem gleichen material basierend, aber mit anderer zielsetzung eine eigene schematisierung entwickelt, die weniger auf die genealogie der parteien abstellt, dafür aber die auffällige eigenschaft aufgreift, dass parteiegründungen zeitlich nicht beliebigt verteilt vorkommen, sondern sich rund um historische umbrüche herum häufen. entsprechend habe ich am montag dieser woche in einem vortrag an der fachhoschschule nordwestschweiz in brugg-windisch vorgeschlagen, von “generationen” von parteien zu sprechen:

die erste generation besteht aus vereinen, bewegungen und fraktionen.
die zweite ist gekennzeichnet durch die frühen parteigründungen, von der sp bis zur lp.
die dritte ist die folge des veränderten wahlrechtes zum proporz, verbunden mit einer pluralisierung des parteienspektrums.
die vierte bildete sich als folge des frauenstimm- und wahlrechts, (indirekt) ist sie mit der gründung von svp und cvp verbunden.
die fünfte leitet sich ab aus der neupositionierung der svp und ihrem aufstieg zur stärksten partei, kombiniert mit der bekannten polarisierung, die bis in die jüngste gegenwart reichte.
und die sechste wäre dann die folge davon, am bestehen ausgedrückt durch die entstehung von glp, bdp und piratenpartei, die alle wie vermehrt in der politischen mitte politisieren.


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ob meine sechste generation von parteien in der schweiz schon geboren wurde oder nicht, bleibt abzuwarten. sie hängt davon ab, ob sich die neuen parteien wie glp und bdp dauerhaft platzieren können und ob sie mit ihrer position die politische arbeit in parlament und regierung beeinflussen können. denn das könnte der weiterentwicklung des politischen systems, namentlich auch des regierungssystems einen neue dreh geben.

den wünscht sich sich übrigens jacqueline fehr. denn, so sagte sie mir nach dem unerwarteten fototermin, die polarisierung zwischen links und rechts sei im parlament aus machtpolitischen gründen erheblich, derweil die allianzbildungen zur mehrheit durch sachpolitische überlegungen durch glp und bdp durchaus beeinflusst werden könnten.

stadtwanderer

cal

ich bin der berner stadtwanderer. ich lebe in hinterkappelen und arbeite in bern. ich bin der felsenfesten überzeugung, dass bern burgundische wurzeln hat, genauso wie ich. also bin ich immer wieder auf der suche nach verästelungen, in denen sich die vergangene kultur in meiner umgebung versteckt hält.

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