die werte der schweizerischen europa-politik

untersuchungen des forschungsinstituts gfs.bern auf der basis der vox-analysen eidg. volksabstimmungen zeigen regelmässig wertepolarisierungen im stimmverhalten der schweizer stimmberechtigten, wenn es um fragen der europäischen integration geht. vorlagen, die mehrheitfähig sind, folgen einer regel. hier das rezept.

zustimmung nach wertmustern zu eu-vorlagen in der schweiz, die mehrheitlich angenommen wurden

quelle: vox-datenbank, eigene analysen von gfs.bern

die europa-frage ist einer der bereiche, der in der schweiz stark von werthaltungen geprägte entscheidungen fällt: tradition/moderne, aber auch binnen-/aussenorientierung gehören zu den gegensatzpaaren, die regelmässig zur beschreibung der pole in der eu-debatte verwendet werden. die hauptergebnisse unserer werteanalyse von volksentscheidungen auf der grundlage der vox-studien legt nahe, nicht nur von zwei polen, eher von drei mustern auszugehen. die drei typisierten haltungen nennen wie die binnenorientierten konservativen, die modernen schweizerInnen und die modernem aussenorientierten.

menschen, die zur ersten pruppe zählen, wollen von der öffnung der schweiz an sich nichts wissen; sie hängen der vergangenheit an; institutionell lehnen sie experimente ab. bürgerInnen mit dem zweiten muster fühlen sich schweizerischen traditionen ebenfalls verpflichtet; für neuerungen beim staat oder der armee sind sie aber offen; schliesslich befürworten sie internationale kooperationen der schweiz. letzteres ist bei personen entscheidend, die wir der dritten gruppen zuordnen; sie bevorzugen ein generelles internationales engagement; sie unterstützen ein europa-kompatibles politisches system, und sie haben sich von den altschweizerischen tugenden verabschiedet.

die langzeitbeobachtung der trends in den drei wertmustern zeigt, dass keines dieser wertmuster alleine mehrheitsfähig ist. in den 00er jahren des 21. jahrhunderts hat die präsenz modern-aussenorientierter werte etwas abgenommen, bleibt mit 35 prozent aber die gewichtigste gruppe. etwas zugenommen hat der binnenorientierte konservatismus, mit 34 prozent anteil wahl- und stimmberechtigter an zweiter stelle stehend; praktisch stabil geblieben ist die proportion der modernen schweizerinnen, die 31 prozent ausmacht.

das entscheidende bei volksabstimmungen besteht darin, ob die ja- oder nein-position eine wertesynthese eingehen kann, und so mehrheitsfähig wird. auswertungen auf der genannten basis belegen, dass die schweizerische eu-politik der letzten 12 jahre erfolg hatte, weil sie von den aussen- wie binnenorientierten modernistInnen mehrheitlich getragen war. die bilateralen I erzeugten spitzenwerte in beiden gruppen, bei der osthilfe waren die werte am tiefsten, aber immer noch klar mehrheitlich. das ist bei den binnenorientierten konservativen klar anders, denn sie haben allen abstimmungsvorlagen in der eu-frage von den bilateralen bis zum definitivum bei der personenfreizügigkeit verworfen. osthilfe und die schengen/dublin-abkommen polarisierten dabei am meisten, mit höchstwerte im nein-anteil von gegen 80 prozent.

der vorteil solcher untersuchungten besteht darin, zustimmung und ablehnung der behördlichen eu-politik in der schweiz nicht alleine auf nutzen-überlegungen zu machen, und sie auch nicht einfach als funktion des parteipôlitischen konfliktmuster zu sehen. letzteres verdeckt namentlich die innerparteiliche opposition, etwa bei den wählerInnen von fdp und cvp, die konservativer und binnenorientierter als ihre parteispitzen sind, aber auch von teilen der sp und der gps, die für einen eu-beitritt einstehen und auch gegen die bilateralen votieren können.

was nun heisst das alles für die zukunft? abstimmungsvorlagen, welche nur die werte der aussenorientierten modernistInnen ansprechen, scheitern. das hat 2001 die initiative “ja zu europa” erlebt, aus dem geist des abgelehnten ewr-beitritts geboren; sie brachte es auf 24 prozent zustimmung, wurde also nicht einmal von allen aussenorientierten unterstützt. konkreter: jede weitere eu-beitrittsabstimmung muss mit dieser polarisierung rechnen. umgekehrtes kennen wir auch: volksinitiativen, klar aus der positionen der konservativen binnenorientierung gestartet, scheitern ebenfalls. den auns-initiativen für den ausbau des staatsvertragsreferendums wegen dem eu-beitritt ist es 1997 und 2012 so ergangen. sie kamen ebenfalls auf ein viertel der stimmen, mobilisierten also nicht einmal das ganze (werte)potenzial.

obwohl bürgerInnen mit werthaltungen, die wir dem schweizer modernismus zuordnen, die zahlenmässig kleinste gruppe sind, kommt ihnen die massgebliche brückenfunktion in eu-entscheidungen zu. solange sie die behördliche europapolitik befürworten, ist diese mehrheitsfähig. sollte dies einmal nicht mehr der fall sein, dürfte es auch zu einer kehrwendung kommen. neuralgisch sind am ehesten souveränitätsfragen, aber auch die aufbauhilfe im ausland gehört dazu; wenn der nutzen der kooperation für die schweiz gegeben ist, fällt die zustimmung jedoch regelmässig positiv aus, genauso wie zum bilateralismus, der seit dem jahr 2000 die beziehungen der schweiz zur europäischen union prägt.

namentlich wenn letzteres aufgekündigt werden sollte, ist damit zu rechnen, dass die debatte über den multilateralen ansatz und die eu-mitgliedschaft auf der einen isolationismus und abseitsstehen auf der anderen seite zu neuen wertepolitisierung in der schweizer stimmbürgerschaft führen dürfte.

stadtwanderer

cal

ich bin der berner stadtwanderer. ich lebe in hinterkappelen und arbeite in bern. ich bin der felsenfesten überzeugung, dass bern burgundische wurzeln hat, genauso wie ich. also bin ich immer wieder auf der suche nach verästelungen, in denen sich die vergangene kultur in meiner umgebung versteckt hält.

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