die linkeste und die rechteste gemeinde der schweiz

bären, signau: unser morgendlicher sonntagsausflug führt uns ins emmental. verbunden mit ausgiebiger zeitungslektüre – und einem kleinen ärger.

eigentlich wollten wir auf der moosegg innehalten; doch ein frühstück ohne vorbestellung war im restaurant mit bester aussicht nicht zu bekommen. so fuhren wir wieder hinunter, ins emmental, wo der bären in signau einladend auf uns wartete. das improvisiert zubereitete déjeuner übertraf die hungrige erwartungen bei weitem.

nach dem essen geht’s hinter die sonntagszeitung. die mit eben diesem namen findet meine aufmerksamkeit. michael hermann, der umtriebige politgeograf der uni zürich, hat die schweizer gemeinden nach den nationalratswahlen 2011 neu vermessen. le locle ist die linkeste unter allen, röthenbach, gleich ennet dem bergzug im emmental, die rechteste.

ueberhaupt falle ein unterschied zwischen den sprachregionen auf, schreibt soz-autor balz spörri. belege findet er auch in bfs-statistiken: die linke ist in der romandie 11 prozent stärker, die svp in der deutschsprachigen schweiz 9 prozent, jeweils im vergleich zum andern landesteil.

bis hierher finde ich das alles noch ganz in ordnung, wenn auch schematisiert. was indes danach kommt, ist legendenbildung à la zurichoise: gründe für die extreme heute sieht die sonntagszeitung in der geschichte, der republikanischen tradition der romands einerseits, den freiwilligen zusammenschlüssen zu eigenverantwortlichen gruppen in der deutschsprachigen schweiz anderseits.

das ist, sorry liebe sonntagszeitung, mumpitz. denn le locle wie auch röthenbach haben lange zeit eine durchaus vergleichbare geschichte. röthenbach war vor 1000 jahren eine adelige niederlassung, ein priorat des mächtigen burgundischen klosters in cluny, derweil die anfänge von le locle zum den weltliche herren von valangin gehörten. röthenbach war nie eine versammlung freier bauern, sondern bald schon ein amt der herren von signau, das seit dem 15. jahrhundert konstant unter bernischer verwaltungstradition steht. le locle wiederum kennt keine so gradlinige geschichte, kommt zuerst zu neuenburg, dann zu preussen, schliesslich zu frankreich. vorher kann man im jura-ort das wort republik nicht buchstabieren.

seit 1815 sind le locle wie roethenbach teil der schweizerischen eidgenossenschaft. nun erst beginnt sich ihr weg zu unterscheiden. röthenbach ist und bleibt agrarisch geprägt. man lebt von der landwirtschaft, bis heute, ergänzt durch das gewerbe, das ihr nahesteht. schon mitte des 19. Jahrhunderts ist man mit knapp 2000 einwohnerInnen auf dem höhepunkt. seither dominiert die abwanderung. wer bleibt, sehnt sich nach alten zeiten, traditionellen werten, findet sie bei der svp aufgehoben, wenn man vor allem rechnet, bei der edu, wenn man über alles hinaus hofft. le locle dagegen wird im 19. jahrhundert industriell. namentlich die uhrenmacher werden hier heimisch. demografisch wächst man, bis die einwohnerschaft 1967 die 15000er marke überschreitet. erst die die uhrenkrise der 70er jahre im 20. jahrhundert bringt die wende im wachstum, gefolgt von der tiefen wirtschaftskrise. die verbliebene soziologische struktur spricht für linke wahlentscheidungen, die – eine spezialität von le locle – nicht die sozialdemokraten, sondern die kommunisten begünstigt. bis heute stellt die pda die mehrheit der 5 mitglieder in der stadtregierung.

dass urbane gebiete linker wählen als rurale, hat nichts mit dem immer wieder bemühten röstigraben zu tun. denn der befund gilt sowohl in der französisch- wie auch in der deutschsprachigen schweiz. verschärft wird er macherorts, weil die bürgerlichen wählerschaften aufs land abgezogen sind, und von den agglomerationsgemeinden ihr rechtes steuer-powerplay gegen die linken kernstädte spielen.

wenn man den sprachengraben bemühen will, dann eher umgekhert: dass die ländlichen gebiete schwer konservativ sind und rechts stehen, ist eine eigenheit vieler regionen in der deutschsprachigen schweiz geworden, namentlich der strukturschwachen gebiete, die sich abkapseln und jede förderung der städte als zugänge zu internationalen ressourcen zu verhindern suchen. das gibt es in der form in der romandie nicht gleich stark, was die unterschiede ausmacht.

da sind wir ganz froh, im bären in signau, auf eine offensichtliche ausnahme auch im deutschsprachigen landesteil gestossen zu sein. denn wir haben gefunden, was wir suchten, und wir wurden von daria de marchi und maurice mergen warmherzig bewirtet. wir empfehlen den ort und das restaurant uneingeschränkt weiter.

stadtwanderer

cal

ich bin der berner stadtwanderer. ich lebe in hinterkappelen und arbeite in bern. ich bin der felsenfesten überzeugung, dass bern burgundische wurzeln hat, genauso wie ich. also bin ich immer wieder auf der suche nach verästelungen, in denen sich die vergangene kultur in meiner umgebung versteckt hält.

3 Gedanken zu „die linkeste und die rechteste gemeinde der schweiz“

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