das politische system des frühen schweizerischen bundesstaates

der schweizerische bundesstaat von 1848 nahm verschiedene prinzipien der französischen und amerikanischen revolutionen des späten 18. jahrhunderts auf, und etablierte so mitten in europa ein republik auf der basis einer repräsentativen demokratie. um das staatswesen über tiefgreifende konflikte politischer, wirtschaftlicher und kultureller art zu stabilisieren, bedurfte es jedoch die erweiterung zur halbdirekten demokratie mit referendum und volksinitiative.

am 12. september 1848 war es soweit: fünf institutionen konstituierten die schweizerische eidgenossenschaft als bundesstaat. erwähnt seien die kantone, wie gehabt, könnte man sagen, neu die nation, in anlehnung an die helvetische republik das parlament, bestehend aus zwei kammern, neu der bundesrat und das bundesgericht, beide von der vereinigten bundesversammlung gewählt.

politisches system des schweizerischen bundesstaates in der übersicht

ermöglicht hatte dies die verfassung der schweizerischen eidgenossenschaft, von der tagsatzung, dem obersten organ des staatenbundes von 1815, für gültig erklärt, nachdem man in den kantonen darüber abgestimmt hatte. das alles war ein unglaublicher fortschritt, weil es eine neue, vereinheitlichte rechtsordnung schaffte, auf der ein dauerhaften staatswesen begründete, das sich als republik verstand und demokratisch regiert wurde.

das alles war nicht selbstverständlich – aus drei gründen: zunächst, ohne bürgerkrieg wäre die veränderungen nicht möglich gewesen. denn seit der regeneration der 1830 hatte sich der liberalismus in verschiedenen kantonen durchgesetzt, in ihnen eine neue politische und ökonomische ordnung geschaffen, die sich von der in den konservativen kantonen unterschied. zudem hatte die konfessionalisierung des konfliktes mitte der 1840er jahre mit dem sonderbund der katholische orte zugespitzt, sodass es zu militärischen eskalationen unter eidgenossen kam, während denen sich die liberalen kanton, reformiert oder gemischt-konfessionell zusammengesetzt durcht setzten, sodass sie eine neue friedenordnung durchsetzen konnten.

sodann war die entscheidung zum bundesstaat nicht ohne irregularitäten zustande kommen. nicht wirklich bestimmt worden war, wer alles der bundesverfassung zustimmungen musste: alle kantone? ihre mehrheit? oder die mehrheit der bürger? schliesslich waren 15 ½ kantone dafür, und es stimmten 6 ½ dagegen. nicht überall war das ergebnis aus einer freien volksabstimmung mit einwandfreier mehrheitheit hervorgegangen. so zählte man in luzern die abwesenden zu den zustimmenden, und in freiburg entschied das kantonale parlament anstellen der bürgerschaft. dennoch, die bundesverfassung galt für alle, wenn auch nicht ohne wiederstand. die erzföderalisten in den innerschweizer kantonen wollten das ergebnis der abstimmung nicht anerkennen; sie mussten zur mitgliedschaft in der schweizerischen eidgenossenschaft gezwungen werden.
schliesslich, nicht alle revolutionen von 1848 waren von dauer. die sozialen umwälzungen in vieles hauptstädte wurden bald schon von den restaurativen kräften rückgängig gemacht. nicht so in der schweiz, deren exponenten sogar darüber nachdachten, weitere gebiete im rheintal hinter basel oder an den südlichen gestadten des genferseee in den bund aufzunehmen, denn rund herum sollten sich bald schon wieder die monarchien etablieren, die aus der zeit des wiener kongresses hervorgegangen waren.

die führungsschicht der schweizerischen eidgenossenschaft von damals war unbestrittener massen der freisinn, eine breite bewegung, die in den ersten wahlen die eindeutige mehrheit erobert hatte und die davon abhängigen behörden nach ihrer vorstellung besetzen konnte. gebildet wurde sie aus dem bürgertum, das nach freiheit strebte, dafür auch verantwortung übernehmen wollte, von frankreich und den usa und ihren politischen umwälzungen inspiriert worden war, und gleiches mit vehemenz auch in der schweiz realisierte.in opposition zum bundesstaat verhielt sich vorerst die katholisch-konservative seite, die auf revision der nicht revidierbaren verfassung aus war.

das vorspiel hierzu ging von frankreich aus, denn kaiser napoléon der dritte verstand sich immer noch als schutzherr der juden, denen die politische gleichstellung in der schweizerischen eidgenossenschaft von 1848 versagt blieb. Auf druck des nachbarn realisierte man in der schweiz 1866 die erste kleine verfassungsrevision, vordergründig zur vereinheitlichung von massen und gewichten, hintergründig, um den rechtlichen status der jüdischen schweizerInnen zu verbessern.

das hauptspiel, die totalrevision der bundesverfassung im jahre 1871 misslang – vorerst. Denn die zentralisierung des lockeren bundes der eidgenossen beispielsweise im bereich des militärs, die nach dem deutsch-französischen krieg unausweichlich erschien, verfehlte sowohl in den katholisch-konservativen kantonen als auch in den französischen die mehrheit. „il nous faut les welsch“ lautete die abstimmungsanalyse des irritierten freisinns, der 1874 einen zweiten entwurf für eine verfassungsrevision vorlegt, und damit in der volksabstimmung reüssierte. Auf diesem weg wurde das repräsentative system von 1848 in zweierlei hinsicht umgestaltet: zuerst führte man das referendumsrecht ein, das es erlaubte, beschlüsse des parlaments dem volk zur nachkontrolle vorzulegen, wobei die entscheidung der stimmbürger binden war, wenn er gegenteilig ausfiel; sodann wurden die wichtigsten wirtschaftsverbände, die sich gebildet hatten, um politische entscheidungen vorzunehmen, in die willensbildung der bundesbörden einbezogen.

es brauchte das jahr 1891, um die gegensätze, die bei der staatsgründung mit dem sonderbundeskrieg entstanden waren, zu überwinden. nach mehreren verlorenen volksabstimmungen, namentlich in der eisenbahnfrage, war der freisinn bereit, den katholisch konservativen einen sitz im bundesrat einzuräumen, und die opposition aus ihrem selbst gewählten ghetto herauszulösen und in die neuen institutionen zu integrieren. Dazu gehörte auch, die volksinitiative zuzulassen, die eine geordnete teilrevision der verfassung erlaubte.

entstanden war damit aus der repräsentativen demokratie von 1848 die halbdirekte, die sich sowohl aus parlaments- und volksentscheidungen legitimiert. gefeiert wurde dieser durchbruch 1891, indem man die begründung der eidgenossenschaft verdoppelte. Zu jener vom 12. September 1848, der realen, kam die historische, nachträglich zurückdatiert auf den 1. August 1291.

stadtwanderer

cal

ich bin der berner stadtwanderer. ich lebe in hinterkappelen und arbeite in bern. ich bin der felsenfesten überzeugung, dass bern burgundische wurzeln hat, genauso wie ich. also bin ich immer wieder auf der suche nach verästelungen, in denen sich die vergangene kultur in meiner umgebung versteckt hält.

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