schweizer identitäten: wohin entwickeln sie sich?

in vielem stiften die alpen schweizerische identität. wir sind die mutter der ströme europas und damit mitten drin, und dank uns gibt es verbindungen über und durch die alpen. von aussen her gesehen sind die schweizer häufig ein alpenvolk, von vor- und nachteilen: gleichzeitig gilt unsere lebensweise als urban unverdorben, sind wir aber auch das putzige land zwischen den grossmächten.

1267718343000unser pass und unsere identität: gleichzeitig unverkennbar schweizerisch und von schweizerInnen wie ausländerInnen anerkannt; mehr zum identitätsbarometer 2010 gibt es hier

in dieser optik sind wir nicht selten die erfinder der unmittelbaren demokratie, gleichzeitig auch die zurückgebliebenen im europäischen einigungsprozess. genauso oszilliert das bild vom guten und schlechten: in jedem schweizer steckt ein hirte, der darauf achtet, das die landschaft nicht übernutzt wird, während in jedem hirten auch ein sodomit steckt, wie man einsamen bergler nennt, die es mit tieren treiben. doch wehe, wenn man uns, politisch inkorrekt, kuhschweizer heisst, denn dann zahlen wir es den sauschwaben mit der gleichen münze zurück.

schweizerische identitäten – ich ziehe hier den plural bewusst vor – sind seit der finanzmarktkrise von 2008 und ihren negativen auswirkungen auf die globale krisen gefragter denn je. die globalisierung, ein projekt der wirtschaft, ist diskreditiert. die gier der banken hat zum moralischen zerfall geführt. die einfallslosigkeit der energietechniker beschert uns weltweit verstrahlte umwelten. die bocksprünge an den finanzmärkten hat das wirtschaftswachstum in der westlichen welt gestoppt, und die natur- und zivilisationskatastophen zerstören jeden sachten wiederaufbau der ökonomien.

die öffnung der schweiz, wirtschaftlich und politisch, hat das bedrohungsgefühl verstärkt und verändert. massenhaft beklagt werden nicht mehr die polarisierung und der so ausgelöst reformstau. vielmehr ist die migrationsfrage ins zentrum der aufmerksamkeit gerückt, aber auch der probleme und problemursachen. am verlorenen sicherheitgefühl sind die kriminellen ausländer schuld. an den hohen wohnungspreisen auch. vergessen geht dabei, dass sie einen viertel der erwerbstätigen ausmachen, uns geholfen haben, die krise besser als andere zu meistern, universitäre forschung auf spitzenniveau zu bewahren und den betrieb der spitäler aufrecht zu halten. unter geht auch, dass danke der zuwanderung die überalterung der schweizer bevölkerung gebremst und damit die ahv gesichert werden kann.

daraus lässt sich keine drang zu einer identität ableiten. die einheit in der vielfalt bleibt die wichigste bestimmung der schweiz. immerhin, diese hat einige gute grundlagen: stolz können wir sein, dass unsere arbeitslosenzahlen geringer sind als im ausland, wir im innovationsrating unverändert weltmeister sind und der ruf der schweiz weltweit gesehen vielerorts gar besser ist als in der heimat selber. denn wir haben eine solide basis mit unserer patronwirtschaft in den vielen kmu-betriebe, verstärkt durch einige international tätige unternehmen. schweizer uhren und angehängte akzessoires strahlen global, und künden von starken marken, die ihren ursprung in unserem land haben.

weil es uns gut geht, sorgen wir uns verbreitet um unsere eigenständigkeit. wo es konflikt gibt, wollen wir neutral bleiben. wo es etwas zu dienen gibt, sind wir aber dabei. wir rühmen uns, wenn es um das zusammenleben von sprachkulturen geht, selbst wenn wir wissen, das die harten gegensätze heute zwischen städter und landleuten auftreten. wir glauben, die einzigartigste direkte demokratie der welt zu sein, selbst wenn das wachstum an volksabstimmungen im ausland gegenwärtig höher ist als im inland. und wir halten konkordanz und sozialpartnerschaft hoch, auch wenn sich arbeitgeber und arbeitnehmer in fragen der sozialwerke unseins sind, und die brunners und levrats in bald keine punkt mehr gemeinsamkeiten haben.

bei allen unterschieden zwischen genf und appenzell, zwischen baslern und tessinerInnen: das nationale ist schweizweit wieder in, schrieb ich vor einige monaten im schlussbericht zum identitätsbarometer, den unser institut seit einigen jahren regelmässig für die credit suisse erstellt. hauptgrund: die swissness schützt uns davor, in der massengesellschaft auf- und unterzugehen.

das war noch vor der abstimmung über die ausschaffungsinitiative für kriminelle ausländerInnen. es war auch vor dem start zum wahlkampf. seither hat sich einiges zugespitzt und ich bin zwischenzeitlich nicht mehr ganz sicher, ob aus der analysierten swissness-welle nicht eine eigentlich nationalistische geworden ist. denn das ist die schwäche aller bestimmung nationaler identitäten: dass sie dazu neigen, sich mit selbstbildern begnügen und sich um fremdbilder scheren. bei einem menschen würde jeder psychologe sagen, das so keine identät entstehen kann, denn die ergibt sich aus der gewachsenen übereinstimmung von wunsch- und spiegelbild. leider gibt es kaum jemanden, der das nationen und ihren politikerInnen so eindringlich sagt.

vielleicht gelingt es morgen, wenn in der arena die schweizer identität an der schwelle zum wahlkampf 2011 diskutiert wird.

stadtwanderer

cal

ich bin der berner stadtwanderer. ich lebe in hinterkappelen und arbeite in bern. ich bin der felsenfesten überzeugung, dass bern burgundische wurzeln hat, genauso wie ich. also bin ich immer wieder auf der suche nach verästelungen, in denen sich die vergangene kultur in meiner umgebung versteckt hält.

9 Gedanken zu „schweizer identitäten: wohin entwickeln sie sich?“

  1. Nein, es hat nicht gereicht um des Schweizers Identität zu ergründen. Da gabs von allen Seiten nur: “Ich, ich, ich und meine Partei”.

    Ohne Dir den Schmus bringen zu wollen, waren Deine Äusserungen das einzige Highlight in dieser Arena. Bestätigt sogar mein Mann.

    Und speziell fiel mir auf, dass Du der Erste warst, der aussprach, dass das Volk nicht nur Vorteile in der Personenfreizügigkeit sieht, sondern auch die andere Seite. Kommt mal jemand auf dieses Thema, wird er sogleich mundtot gemacht mit der Begründung, die Wirtschaft profitiere.

    Herr Pfister argumentierte gut. Auch der FDP’ler, wenn es um die Zusammenarbeit der Parteien zu Gunsten des Volks ging, aber eben, Herr Levrat gab das beste Beispiel dafür ab, dass das ein Ding der Unmöglichkeit ist, indem er aussprach: “Mir ist ziemlich egal, was die SVP denkt und sagt. Sagt eigentlich alles aus.
    Ausserdem wirft man der SVP Anstandslosigkeit vor. Dem Einzigen dem es gestern an Anstand fehlte, war Herr Levrat, der am Laufmeter den anderen ins Wort viel, vorzugsweise dem Brunner.

    Die SD habe ich gestern in der Arena vermisst, aber die wird vom Schweizer Fernsehen, genau gleich wie vom Tages-Anzeiger totgeschwiegen. Dabei wäre es die Partei, die all die Probleme die die Parteien als Einzelthemen für sich in Anspruch nehmen in ihrem Programm hätte. National, Umweltbewusst und Sozial.
    Aber warum etwas einfach machen, wenn es doch kompliziert viel aufwändiger ist.

    Diese, jene obige Aussage, würde ich nun zu einem kleinem Spürchen, der Schweizer Identität zuordnen. Das Alteingesessene, die Gewohnheit. Und vor allem ists die Gewohnheit, die uns blockiert. Sowohl von Links wie auch Rechts.

  2. Du hast recht. Die Sendung ist nicht gelungen. Es gab kaum Fortschritte in der Diskussion. Ich zweifelte schon vor der Sendung, dass man Identitätsfragen sinnvoll den Parteien überlassen kann.
    Im Konkreten, das du ansprichst, ist meine These ist ja seit längerem: Die Bilateralen und die Personenfreizügigkeit haben der Schweiz wirtschaftliche Vorteile gebracht, doch gingen die gesellschaftlichen vergessen.
    Die Ernüchterung ist im Gefolge der globalen Finanzkrise gewachsen. Sie hat das Vertrauen in die eigene Kraft nicht erschüttert, was den Ruf nach Schweizerischem gestärkt hat. Sie hat aber die Bereitschaft verringert, weiter auf dem Pfad der Integration der Schweiz fortzuschreiten.
    Ich sehe drei Schlussfolgerungen: Grenzen auf und Augen zu, was dem Status quo entspricht und in einer Sackgasse endet, Augen auf und Grenzen zu, was die SVP als Alternative will, und Grenzen wie auch Augen offen, was einer neuen Kombination entsprechen würde.

  3. Siehste, Deine Zweifel waren berechtigt. Aber sag mir, warum müssen wir uns von Politikern leiten lassen, deren Ziel doch nur der Eigennutz ist.

    Grenzen, wie auch Augen offen.
    Willkommen in der Heimat.

  4. Wegen Eigennutz: Ich bin da sehr gespalten. Ich glaube, dass Eigennutz der Grundzug jedes Menschen ist, auch jeder Organisation. Das ergibt sich aus der Ueberlebensnotwendigkeit. Je konkurrenziver unsere Umgebung ist, desto eigennütziger muss alles werden, damit es überlebt.
    Parteien, die nur noch eigennützig sind, machen bloss noch das Geschäft ihrer WählerInnen. Die SVP fürs Land, die SP für die modernen Frauen, die FDP für die Wirtschaft, die CVP für die Familien (mit katholischem Hintergrund) und die Grünen für die Umwelt.
    Dann versuchen alle zu punkten, wie ich manchmal auch sage, aber nicht mehr zu vermitteln, zu entwickeln. Da hast du recht, daran mangelt es zusehens.
    Auf die Arena Sendung bezogen: Man markierte Standpunkte, ohne darüber hinaus gehen zu wollen. Vielleicht ist das aber dem Wahlkampf eigen …
    Unglücklich war meines Erachtens schon der Titel der Sendung. Die Schweiz gehört niemandem, oder allen. Kaufen kann man sie nicht, und dass sie von irgend jemandem erobert wird, möchte ich nicht!
    Willkommen in der schweizerischen Vielfalt!

  5. Warum haben wir so viele Zuwanderer?
    Wenn die Ausbildungs- und Lohnstrukturen sowie die übrigen Arbeitsbedingungen für diejenigen Berufe, welche die neuen Zuwanderer besetzen, in der Schweiz besser wären, könnten viele Stellen auch mit in der Schweiz bereits ansässigen Personen besetzt werden. Das heisst konkret: Mehr Fachkräfte- als Akademikerausbildung, höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen für Fachkräfte, Mindestlöhne einführen und wirksam kontrollieren.

  6. Tatsache ist halt, dass Blocher (als Bundesrat) zur PFZ sagte: Wir sollten es wagen, und die flankierenden Massnahmen ablehnte. Dabei hatte er wohl nur wirtschaftliche Interessen im Sinn.
    Tatsache ist, dass die SVP nun zwar die Einwanderung stoppen will (was mir recht ist), aber nichts tut. Seine SVP-ler hingegen wählen ihn, gehen dann nach Hause in ihr KMU und stellen ein paar Ausländer zu tiefen Lönen ein ..

  7. Frisch zitiert (Stich-Worte Suhrkamp) aus dem heutigen Tagi find ich auch noch passend:

    Unsere Parteien glauben selbst nicht mehr an die Zeugungskraft ihrer Ideen, weder an die eigene Ideologie noch an die Ideologie ihres parlamentarischen Gegners. Man “versteht” sich zu gut, nämlich so wie zwei Händler sich verstehen. Die Unterschiede zwischen einem Konservativen und einem Sozialdemokraten sind bald nur noch scheinbar; es geht nur noch darum, wie viel sich jeder vom Reichtum dieses Landes abschneiden kann, aber nicht mehr um die Gestaltung dieses Landes. Damit ist die utopische, die staatsbildende Kraft unserer Parteien zusehends im Erlöschen. Sie werden belanglos, überflüssig, sie sind demnächst durch Verwaltungsräte und Reklameberater zu ersetzen.

    Welch Worte! Welch wahre Worte! Da könnte man fast neidisch werden, weil sie nicht von einem selbst stammen.

  8. @ Raffnix
    Da tönt es ja schon ganz anders. Stimmt,anfänglich waren das Blochers Worte, aber er hat nicht mit der JSVP gerechnet.
    Aber deswegen nun Blocher dafür verantwortlich machen, dass das Schweizer Volk der PFZ zustimmte? Und was kann Blocher dafür, wenn die dem Volk vorgelogene Ventiklausel nicht angesetzt wurde? Man solange zögerte, bis es zu spät war.

    Mach Dir eher Gedanken darüber was passiert, wenn die EU die Schweiz mit der Unionsbürgerschaft zu erpressen versucht. Beim zweiten Anlauf noch nicht, aber beim dritten sicher. Oh, dann wirds wohl wieder heissen, dass uns ansonsten die EU die Bilateren aufkündigt. Darin haben wir schon Übung, aber das Volk fällt immer wieder drauf rein.

  9. Die Eu will gar nichts erpressen. Tatsache ist einfach, dass es die Schweiz zu nutzen weiss, Vorteile aus der umliegenden Eu zu ziehen, resp. die Vorteile fallen ihr in den Schoss. Wie lange das dauern wird, weiss wohl niemand. Wie lange es geht, bis die Schweiz das Auland ermahnen muss, endlich Abgeltungssteuern zu bezahlen für die Schwarzgelder, die die Schweizer im Ausland haben, weiss ich noch weniger.
    Aber die Zeit wird kommen, dass uns die SVP in die Eu führt, weil es eben dannzumal das beste ist …(oder weil die Situation so ist, wie sie Adolf heraufbeschworen hat, nämlich so, dass die Rechte sich aus wirtschaftlichen Gründen anbiedern will).

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