Bern. Von der zähringischen Gründungsstadt zur kaiserlichen Reichsstadt

Vor dem Berner Rahthaus

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Neue Städte als mittelalterliches Phänomen
In unseren Breitengraden entstanden Städte in drei Schüben: zu Römerzeiten mit Aventicum als Vorbild, im hohen Mittelalter mit Freiburg im Uechtland als einem Zentrum und während der Industriellen Revolution, für die die Uhrenstadt La Chaux-de-Fonds beispielhaft ist.
Bern entstand zweifelsfrei während der mittelalterlichen Gründungswelle. Zwar gab es auch den römischen Ort Brenodor auf dem heutigen Stadtgebiet, doch ist keine Siedlungskontinuität belegt. Die engen Gassen der heutigen Stadt steht dafür unverwechselbar für das Mittelalter. Das Buch “Typisch Europa” nennt Bern gar den bewahrten Inbegriff der europäisch-mittelalterlichen Stadt.
Die Stadtgründung Berns profitierte von der Klimaerwärmung zwischen dem 11. und 13. Jahrhundert. Sie liess die Landwirtschaftsproduktion und die Bevölkerungszahl ansteigen. Das ermöglichte es innovativ gestimmten Adligen, Menschen in Städten zu sammeln, das Land zu erschliessen und eigene Herrschaft zu verstärken.

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Bern als Teil des Kaiserreichs
Im Falle Berns waren dies die Herzöge von Zähringen aus der heutigen Südwestecke Deutschlands. Ihre Absicht war es, Rhein und Rhone auf dem Landweg zu verbinden, um so den Verkehr längs durch Europa zu ermöglichen. Das brachte sie im Mittelland in Opposition zu den Grafen von Savoyen resp. den Grafen von Habsburg und Kyburg, die das Gebiet unter sich aufgeteilt hatten. Der Plan der Zähringer misslang denn auch. Bereits 1218 starben sie in der Manneslinie aus. Hinterlassen haben sie aber eine Reihe von Kleinstädten.
Historiker bezeichnen die Verhältnisse im Mittelland des 13. Jahrhunderts gerne als Anarchie des Adels. Hauptgrund war, dass sich in dem zwischen burgundischer und alemannischer Kultur geprägten Flusslandschaft keine einheitliche Landesherrschaft entwickeln konnte. Hinzu kam, das nicht nur die Zähringer, auch die Kyburger ausstarben und die Habsburger ihren Hauptsitz von Brugg nach Wien verlegten, einzige eine Nebenlinie als Neukyburg hinterliessen. Zudem waren die Könige meist weit weg, sodass sich klösterliche und städtische Zentren zu Sammelpunkte der Macht entwickelten. Die prägenden Auseiandersetzungen waren denn die Kriege zwischen Bern und Freiburg, die 1298 ausbrachen und erst 1340 mit dem Vertrag von Rheinfelden geregelt werden konnten. Darin akzeptierten die Habsburger, dass Bern die führende Macht im Aaretal geworden war. Seither führt die Stadt auch ein eigenes Banner mit typischer Symbolik: rot für den kaiserlichen Hintergrund, der gelbe Streifen für die Privilegierung, und ein aufsteigende Bär für Stärke der Stadt.

Die grosse Pest als Einschnitt
Der eigentliche Einschnitt im 14. Jahrhundert war die grosse Pest. Sie kam aus Asien, breitete sich über das Schwarze Meer ins Mittelmeer hinaus aus. Sie drang über das Rhonetal nach Norden und erreichte Bern 1348. Gegenüber dem Schwarzen Tod war man ohne Rat. Je nach Quelle starb zwischen einem Viertel und der Hälfte der Bewohner.

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Der Adel als bisheriger Schutzgeber wurde angeklagt und vertrieben. Geisler, religiöse Eiferer, sammelten sich vor den Stadtmauern und klagten das verkommene Leben an. In der Stadt selber suchte man Sündenböcke, und man fand sie bei den Juden, den unbeliebten Geldverleihern.
Vorübergehend übernahmen Händler aus der Region die Berner Stadtführung. Das entsprach allerdings gar nicht den Vorstellungen von Kaiser Karl IV., väterlicherseits ein Luxemburger, mütterlicherseits ein Böhme. Er vermittelte die Rückkehr der Ritter, gewährte den Händlern ein eigenes Kaufhaus und ermöglichte die Ausdehnung der Stadt auf das Land. Letzteres war damals nur Landadeligen vorbehalten, aber es war sinnvoll: denn weder den Grafen von Savoyen im Westen noch den Grafen von Kyburg im Osten war es gelungen, im Aaretal eine eigentliche Landesherrschaft zu errichten.
Das grosse Schisma der katholischen Kirche von 1378 verschlimmerte die Spaltung noch. Nun gab es einen Papst in Rom – und einen Gegenpapst in Avignon. Bern richtet sich nach Südfrankreich aus, doch im Reuss- und Limmattal war man Rom-zentriert.
Ohne gemeinsame religiöse Klammer kam es schnell zum Krieg. Der brachte Bern 1382/3 den eigentlichen Durchbruch aufs Land. Nach einer erfolglosen Belagerung von Burgdorf und Thun kaufte Bern beide Städte den Kyburgern ab. Die neuen Einnahmen aus den gewonnenen Märkten im Oberland und Emmental kompensierten die Verluste aus der Pestzeit rasch. Demgegenüber starben die Kyburger 1417 verarmt aus.

Reichsstadt und damit ganz oben
1414 weilte Sigismund, König von Ungarn und Anwärter auf den Kaisertitel, in Bern. Die Stadt erhob er ein Jahr später zur Reichsstadt, ausgestattet mit dem hohen Blutgericht. Von jetzt an konnte man in Bern selber über Leben und Tod entscheiden. Und man durfte mit dem Kaiser oder den Anwärtern hierfür Reichspolitik betreiben.
Genau diese Chance bot sich im gleichen Jahr. Die westliche Kirche hatte nun gar drei Päpste. Auf dem Konzil in Konstanz war man bestrebt, sie alle anzusetzen, als die Habsburger einen der bisherigen Päpste durch Entführung für sich retten wollten. Die Reichsacht wurde über sie ausgesprochen, und ihre Länderreihen konnte man jetzt ohne Strafe erobern. Bern tat das umgehend und verlegte die Stadtgrenze neu nach Brugg. Man hatte nun in etwa die Grösse des heutigen Kantons Bern, ohne den Berner Jura, dafür mit dem Berner Aargau.
Typisches Symbol der Reichsstadt ist das erste Berner Rathaus. Ausgelöst wurde der Bau durch den Stadtbrand von 1405. Nötig war es aber, eine ritterliche Hofstatt an der vorgesehenen Stelle abzureisen, was zu heftigen Diskussionen führte. Kritisiert wurde auch die Grösse des Baus, für damalige Zeit einmalig gross und ausgesprochen teuer. Vollzogen wurde so die räumliche Trennung kirchlicher und weltlicher Angelegenheiten. Denn die erste Kanzlei befand sich wie die alte Leutkirche im Bereich des heutigen Münsters.
Das neue Rathaus diente an Ostern auch als Ort des Wahlprozedere für die Behörden rund um Ostern. Zuerst versammelten sich die wahlberechtigten Haushaltsvorstände in der Säulenhalle des Rathauses. Unter ihnen wurden quartierweise die Wahlmänner ausgelost, die mit dem kleinen Rat am Gründonnerstag die neuen Mitglieder des Grossen Rates nominierten. Vom Karfreitag bis Ostersonntag ruhten die Wahlgeschäfte. Am Ostermontag wurden die wahlbefähigten, nominierten Grössräte durch den Stadtschreiber in der Säulenhalle bekannt geben, bevor sie sich in der Burgerstube zur Vereidigung versammelten. Die Wahl des Schultheissen und der hohen Amtsleute aus ihrer Mitte erfolgte danach. Das Vorgehen wiederholte sich am Osterdienstag, nun für die Mitglieder des Kleinen Rates. Am Ostermittwoch schliesslich bestimmte und vereidigte man schliesslich die Amtsleute. Per Akklamation übertrug man allen die Geschäfte für das kommende Amtsjahr.

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Zwischenbilanz: zwischen Kaiserreich und Eidgenossenschaft
Namentlich das Haus Luxemburger betriebn mit der Reichsstadt Bern Machtpolitik. Sie waren bestrebt, den Stützpunkt am wichtigen Aareübergang zu stärken, um so den Machtzerfall der Reichsmacht im ehemaligen Königreich Burgund zu stoppen.
Jäh unterbrochen wurde die Gradlinigkeit des Aufstiegs Berns von der Gründungs- zur Reichsstadt durch die grosse Pest. Denn die nun niedergelassenen Händler sollten Bern eine politische Alternative eröffnen. Sie waren nicht auf den fernen Kaiser ausgerichtet, vielmehr auf Orte mit ähnlichen Interessen und Problemen, die man bei den habsburgfeindlichen Innerschweizern finden sollte.
Bern sollte in der Folge ein symptomatisches Doppelspiel verfolgen: als Reichsstadt war sie eingebettet in das Kaiserreich, als Bündnisparter zuerst der Innerschweizer, später auch der Zürcher betrieb die Stadt zusehends auch eidgenössische Politik.
Für das bernische Selbstbewusstsein als Reichsstadt spricht, dass 1420 Stadtschreiber Conrad Justinger die erste ausführliche und bebilderte Geschichte verfasste.

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