von der sog. schönheit in der politik

mein letzter “essay” vor der sommerpause.

die letzte email vor meinen sommerferien erkundigte sich zum thema schönheit in der politik. es ging um eine stellungnahme zuhanden eines tagesmediums.
ganz berufen fühlte ich mich im thema zwar nicht, der temperatur der tage aber erschien mit eine direkte antwort auf das unübliche aberdurchaus angemessen.

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“guten abend

eigentlicher trendsetter bei den männern war wohl christoph eymann, der frühere liberale basler nationalrat, mit viel sexapeal. das sorgte parteiübergreifend für erregte aufmerksamkeit. auf der frauenseite begeisterte doris leuthard mit dem anmut einer prinzessin jedenfalls der männerherzen. beides brachte glamour in die bisweilen triste realität der schweizer politik.

im ihrem windschatten ist ein neuer typ politikerInnen auf die bühne gelangt. denn mit der generation bruderer hat sich, sagen wir mal, einiges verändert. die jüngste nationalrätin musste damals nicht lange warten, bis sie reden durfte und in den zeitungen kam. sie war medialisiert, bevor sie sich in der fraktion etabliert hatte. es störte sie nicht, aufgrund ihres attraktiven äusserlichen bewertet zu werden. für die gestandenen linken frauen war das ein fürchterlicher tabubruch. indes, er war nötig und seither haben wir zahlreiche bruderer und schwesterer in der politik.

das alles ist toll!. denn es spricht für ein gesteigertes selbstvertrauen unserer politikerInnen. das ist im härter gewordenen nationalen und internationalen wettbewerb auf jeden fall ein neuer standortvorteil. die veränderung steht auch für einen der wichtigsten kulturwandel der gegenwart: jede(r) darf oder muss sich jederzeit selber erfinden. es lebe der erwartungshorizont der möglichst schönen!

den männern fällt das noch schwerer. parfüm und schmuck zur veredelung des körperlichen ist seit der französischen revolution verpönt. seither muss man etwas nach miststock riechen, karrenschmiere an den händen haben oder bürgerlich gekleidet sein. alles adelige, das vom edlen käme, ist ja seit 1789 anrüchig.

alle versuche, beispielsweie das so begründete nachrevolutionäre kleidungsritual im parlament von liks her zu überwinden, sind gescheitert. der pullover über den schultern von andy gross schrieb nicht wirklich geschichte. und das patriotische schweizer kreuz auf der brust von anita fetz ist auch recht rasch verschwunden.

trotzdem, hier haben es die frauen einfacher. wer politikerin werden wollte, muss mit der tradition von kirche-küche-kinder gebrochen haben. individualisierung gehört da quasi zum politischen programm. deshalb drückt es sich auch leichter im eigenen schmucken kleiderstil aus, wie bundesrätin sommaruga das zeigt, entspricht das gesicht schneller dem einer miss schweiz wie bei nationalrätin nathalie rickli oder folgt der ganze habitus dem der gängigen schönheitsideale der gegenwart wie bei nationalrätin isa-belle moret.

dahinter steht der medienwandel mit dem pictural turn, der mit dem strengen politkultur der nzz im geiste zwinglis (“es gilt nur das gesprochene wort”) brach und die vorreformatorische bildlichkeit des heiligen wieder aufleben lässt. denn das fernsehen lebt vom bild, das internet auch. (selbst mein blog funktioniert so, denn ohne icons fehlt den text die rahmen in unserer vorstellungswelt.)

das gute dabei: die aufmerksamkeit steigt. das schlechte: das bild wird zum kommunikationskern, das bild der politikerInnen auch, was nicht unproblematisch ist.

denn jetzt geht es um die gretchenfrage: was schönheit ist, ist kaum zu definieren. selbst umberto eco brauchte zwei bücher dazu, eines über schönheit in der geschichte und eines über hässlichkeit. demnach ist schönheit seit der griechischen antike idealisierte körperlichkeit, inszenierte kleidung und ausstrahlung nach mass. in der moderne kommt hinzu, dass alles eine folge des geschmacks wurde, wie wir seit den analysen von jürgen habermas über den strukturwandel der öffentlichkeit wissen.

die gegenwärtige postdemokratische wende der politischen schönheit stammt aus italien. denn aussehen steht hier vor ideologie, ohne zu verstecken, vielmehr um sie zu kommunizieren. seit längerem weht da ein hauch von dolce vita, sexueller eruptionen und fatalen skandalen nicht nur durch die regierungsgemächer von silvio berlusconi bis mara carfanga, nein, das alles dehnt sich auch über die alpen auf halb europa aus.

die rezeption in der schweiz erfolgte sprachkulturell differenziert: marina masoni gehörte im tessin zu den frühen nachahmerinnen, und francine jeanprêtre in der romandie war in einer vergleichbaren prionierrolle. hauptgrund für die rasche adaptation: das flair der lateiner für das urban-modisch-bewusste, das sich in der rural-unauffällig-gleichgültigen deutschen schweiz nur mit bedacht nachvollzogen wird.

immerhin, selbst die wissenschaft beschäftigt sich zwischenzeitlich mit fragen der schönheit in der politik: regula stämpfli, die einzige in der politologInnen-gilde, die über die dreiecksbeziehung von sex-macht-politik philosophiert, ist, wie man erwarten konnte, angewidert vom zerfall der der politischen kultur. ihr antipode, georg lutz, steht dagegen auf schönheit. er hält sie für wichtiger bei der wahl, als es die internationale literatur eigentlich zulassen würde. denn in der us-amerikanischen wahlforschung gilt vorteilhaftes aussehen als genau ein von 49 erfolgskriterium für die politikerInnen. lady deut-piece aus alaska ist ja der beste beweis dafür.

denn es gilt: allem erotic capital von typen wie sarah palin in der politischmedialen kommunikation zum trotz bleibt politik politik. und das ist ein wenig mehr als show. das weiss man sogar bei der vergabe des swissawards im leutschenbach, und man sollte es in den redaktionsstuben nicht ganz vergessen!

ich bin überzeugt, dass ihre fragestellung typisch ist für die gängige mediengesellschaft. deshalb bin ich auch nicht ganz sicher, ob das diskutierte phänomen ausserhalb der virtualität wirklich real ist. ausser ein paar hübschen blumen bleibt viel äusserlicher durchschnitt im parlament. ganz nach dem motto, unkraut verdirbt nie! das ist auch gut so, denn es beweist bei aller luftigkeit der medialen politik die bodenhaftung der politik vor ort.

so, gehe jetzt nach schweden. anna lindt war nicht nur eine tolle frau, sie war auch eine starke persönlichkeit und herausragende politikerin. das ist mir immer noch lieber. bin halt noch älter als sie (54). leider ist mit ihr auch mein schönheitsvorbild (aus)gestorben!

claude longchamp
alias stadtwander