leben in der risikogesellschaft

ich finde zu allem worte, dachte ich mir. jetzt merke ich, wie sie stocken, wenn ich an die ereignisse in japan denke. mein versuch, mich selbst aufzurichten, vielleicht auch andere anzuspornen, gleiches zu tun.

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vor 25 jahren erschienen, durch den reaktorunfall in tschernobyl berühmt geworden, ist der band über die risikogesellschaft von ulrich beck dieser tage wieder aktueller denn je.

zuerst war die meldung vom erdbeben. wenn sie aus japan kommt, macht das nur beschränkt eindruck. dann trafen die bilder der verwüstung durch den tsunami ein. sie schockierten. schliesslich müssen wir bald täglich zusehen, wie im akw fukushima eine explosion der andern folgt, die newslage mehr verwirrt als klärt, die welt sich aber trotzdem einem ihrer tiefpunkte nähert. was tun?

ulrich beck, der wohl bedeutenste lebende soziologe deutschlands, veröffentlichte vor 25 jahren sein buch “risikogesellschaft”. es war damals schon die treffendste analyse der verkettung von gesellschaft, technik und natur. seither hat es kritiken zuhauf gegeben, wissenschaftliche, politische und mediale. und doch denkt man diese woche unweigerlich wieder an die diagnose becks vor einem viertel jahrhundert.

in einem bemerkenswerten interview mit dem heutigen “bund” nimmt der soziologe stellung zum geschehen in japan. seine überlegung beginnt beim begriff der “naturkatastrophe”. Er suggeriere, das etwas schlimmes passiere, dass der mensch nicht zu verantworten habe. das sei falsch, weil die natur dramatische veränderungen kenne, die im bezug auf die von menschen entwickelte zivilisation zur katastrophe würden. menschliches können, technologische entwicklung und ereignisse der natur seien deshalb augenscheinlich miteinander verwoben.

grosse katastrophen, wie die jetzige in japan, aber auch wie die globale finanzkrise, tendierten jedoch dazu, nicht nur metaphorisch keine verantwortlichen zu haben. versuche, ursachen und wirkungen in solchen situationen miteinander in verbindung zu bringen, würden meist ins leere laufen. das habe nicht zuletzt damit zu tun, dass es nicht gelinge, rechtsnormen zu formulieren, welche folgen auf gründe zurückführen würden, und damit die akteure für ihr handeln haftbar zu machen.

besser funktioniere da der sündenbock-mechanismus. an tschernobyl sei der kommunistischen schlendrian schuld gewesen, lautete die gängige interpretation 1986. die sicherheitsstandards seien in der kapitalistischen welt anders, denn keine firma könne solches wollen, schob man nach. jetzt, wo auch das widerlegt sei, rechnet beck damit, dass man die japanische tragödie zu einem sonderfall, bedingt durch die eigenheiten des pazifischen raums machen werden. doch sei das nur augenwischerei. unübersehbar sei, dass die sicherheitsphilosophie der kerntechnologie insgesamt zur disposition stehe.

die generelle problematik formuliert der soziologe so: risiken sind sinnlich nicht wahrnehmbar. was risikant ist und was nicht, entscheidet der gesellschaftlichen prozess der verarbeitung von risiken. dabei dprften wir nicht einfach auf die individuelle oder kollektive erfahrung abstellen, weil wir inzwischen wissen müssen, das katastrophen drohen, die wir noch nicht erfahren haben und die wir nicht erfahren dürfen. auf diese problematik habe noch niemand eine angemessene antwort gefunden, ihr auszuweichen sei aber ein trugschluss.

ulrich beck schlägt vor, die entwicklung der (un)sicherheitskultur nicht technikern und juristen überlassen. die kritik an ihnen dürfe jedoch nicht einfach ins leere zielen; sie müsse besseren techniken und märkten chancen eröffnen, die helfen, riskante techniken durch weniger riskante zu ersetzen. der deutsche anlytiker unserer gegenwart glaubt, dass durch katastrophen wie die aktuelle der trend hin zu debatten über eine alternative moderne nicht mehr aufzuhalten sei.

meine gespräche heute waren profaner, aber nicht anders. wir müssen uns der risiken, mit denen wir leben, gemeinsam bewusster werden, um vernünftig zu entscheiden, was wir haben, was wir wollen, und was wir ausschliessen müssen. das beginnt bei jedem einzelnen, wird aber unvermeidbar zu einen gesellschaftlichen prozess werden, der, wie es ulrich beck vor einem viertel jahrhundert schon sagte, die grammatik des politisch machbaren neu bestimmen wird.

stadtwanderer