das ende der reformation in der schweiz?

mitte des 20. jahrhunderts waren mehr als 50 prozent der bewohnerInnen der schweiz reformiert. zur jahrtausendwende war es noch ein drittel. jetzt spricht eine neue studie davon, mitte des 21. jahrhunderts würden die reformierten weniger als 20 prozent der einwohnerschaft ausmachen.

die religionssoziologen jörg stolz und edmée ballif haben für den schweizerischen evangelischen kirchenbund eine breit angelegte, religionssoziologische untersuchung über den stand und die aussichten der reformierten in der schweiz erarbeitet. jüngst haben sie sie dem auftraggeber abgeliefert, und in diesen tagen beginnt die interne diskussion. die mediale öffentlichkeit hat an ostern davon erfahren.

die zahlen selber sind eindrücklich. keine konfessionsgemeinschaft verliert so rasant mitglieder wie die reformierte. überalterung ist die erste folge davon. die bestattungen bleiben konstant, die taufen gehen massiv zurück. und die austritte sind weit gewichtiger als die eintritte.

die radikalisierte entflechtung der kirche vom staat ortet die studie als hauptgrund. degressiv ist auch der einfluss der reformierten kirche auf die schulen. spiritualität wird heute kaum mehr in der kirche gesucht. wellness, esoterik und selbsterfahrungen bieten sich eher an. und selbst wenn es um informationsverbreitung geht, haben die kirchen kaum mehr ein privileg. wie alle andern akteure ringen sie um das knappe gut der aufmerksamkeit. profilierung der eigenen identität, aufwertung von gottesdiensten, modernes kirchenmarketing und vermehrte öffentlichkeitsarbeit sind die stochworte. die bündelung der diesbezüglichen kräfte steht aber noch weitgehend aus.

jörg stolz, der hauptverfasser der studie, sass mir schon mal gegenüber, als er für die studie recherchierte. eine seiner these ist, dass die reformierte kirche ähnlich wie die römisch-katholische klarer sichtbare repräsentanten brauche, um in politischen fragen intervenieren und auf gesellschaftliche entwicklungen einwirken zu können. insbesondere vermutet er, dass das koordinierte kommunikationspotenzial der römisch-katholischen kirche mit der klaren hierarchie grösser ist. charismatiker johannes paul II., der verstorbene papst, faszinierte den professor für religionssoziologie.

wie schnell sich solche lösungsansätze ins gegenteil kehren können, erleben wir am jetzigen papst, der mit seiner geschichte aneckt, mit seinen stellungnahme andere glaubensgemeinschaften provoziert, und die zeitgemässen herausforderungen der eigenen institution am liebsten unterdrücken und aussitzen möchte.

gerade deshalb widersprach ich dem studienverfasser auch: kirchen machen nur dann sinn, wenn sie getragen werden, und getragen werden sie nur, wenn die religiöse botschaft zwischen beliebigkeit und fundamentalismus von den menschen verstanden und aufgenommen werden. diese vermittlung kann man mit kommunikation sicherlich verbessern, ersetzen kann man sie aber nicht.

entweder macht die reformation im 21. jahrhundert sinn, oder sie wird in diesem saeculum in der schweiz ihr ende finden.

stadtwanderer