die unvollendete werk des konservativen revolutionärs

wer ins berner bundeshaus tritt, muss sich entscheiden. denn links und rechts der eingangstüren stehen zwei verschiedene figuren: der chronist, der das geschehene des tages im hause für die gegenwart festhält, und der historiker, der die wirkung des geschehen aus dem rückblick für seine zeit würdigt. markus somm, in münchen, bielefeld und zürich zum historiker ausgebildet, seit 10 jahren als journalist im zürcherischen mediengeschäft wie im bernischen politikalltag tätig, müsste diese symbolik eigentlich kennen und wissen: beides zu leisten, ist ein ding der unmöglichkeit. mit seinem erstling “christoph blocher. der konservative revolutionär” versucht markus somm, stellvertretender chef der “weltwoche”, genau diesen spagat aufzulösen, – und scheitert auf halbem weg grandios.

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geliefert wird im dicken wälzer keine analyse der schweizerischen gegenwart, wie sie unter zeithistorikerInnen und sozialwissenschafterInnen entsteht. gefragt wird nicht, was die finanziellen und kommunikativen ressourcen der heutigen parteienmacht sind. ausgelotet wird nicht, wie sich die politische kultur der konkordanz unter einfluss der svp zersetzt hat. es geht somm auch nicht um die sozioökonomischen entwicklungen und mediengesetzlichen eigenheiten, die den grasierenden populismus erzeugen. denn das ist nach seiner auffassung die sichtweise der gegner seines vorbildes, mit denen sich der autor bewusst nicht auseinandersetzt.

glücklich wird somm, wenn er über die person blocher berichten kann. die dramatische “stunde null”, die abwahl von blocher aus dem bundesrat, wird als einstieg erzählt. munter streift man dann durch die familiengeschichte der eingewanderten mittellosen blochers, bekommt das klima geschildert, in dem der pfarrersohn christoph in schaffhausen aufwächst. beredet berichtet der biograf von der rebellion, welche die studenten der 68er zeit erfasst hatte, “den blocher” aber in eine ungewöhnlicher richtung formte: ein erfolgreicher unternehmer auf den weltmärkten wurde er, ein gestrenger oberst in der schweizer armee ebenfalls, um als jung gewählter nationalrat die gemütlicher svp unter dem berner adolph ogi herauszufordern.

nach allgemeiner auffassung entstand so die neue nationalkonservative svp blochers. die ewr-abstimmung ist der unbestrittene angelpunkt, der blocher die lufthoheit über die orientierungslos gewordenen bürger verlieh, ihn den pakt mit dem teufel eingehen liess, indem er sich mit den journalisten verband, um wahlsieg über wahlsieg zu feiern, bis der frühere oppositionelle strahlender bundesrat wurde. somm zeichnet das personengeschichtlich faktenreich nach, verfängt sich dann aber in der sichtweise blochers, das wäre der moment gewesen, mit der selbstgefälltigen landesregierung gründlich aufzuräumen, um zur grossen politischen umgestaltung des landes auszuholen. ganau daran scheiterte blocher schliesslich, was für somm noch einmal mehr der sieg des kleingeister über einen genialen politiker ist, der einen geheimplan “schmidete”, um blocher hinterhältig aus dem zentrum der macht zu entfernen.

als journalist verpasste markus somm übrigens ausgerechnet diesen moment der zeitgeschichte, denn am tag der abwahl feierte er in seiner “wewo” den normalfall. deshalb gefällt ihm in seinem buch der sonderfall umso besser. die historische tat des freisinns, die staatsgründung, die wirtschaftsförderung und die schweizerischen kulturprägung, hat der sohn aus eben diesem umfeld intus, doch bricht er mit den begründern persönlich und intellektuell. krampfhaft ist er deshalb bestrebt, in der svp die legitime nachfolge der marod gewordenen fdp zu empfehlen. dafür greift er liebend gern auf die schwammige metapher im untertitel seines buches zurück: den durchbruch der konservativen revolution, in den usa vom erfolglosen politiker barry goldwater ausgedacht, vom erfolgreichen schauspieler ronald reagan vollstreckt, feiert somm dank seinem helden der gegenwart: “unter christoph blocher ist die schweizer konservativ geworden”, ist denn auch das programm des buches.

was damit in der schweiz gemeint sein könnte, wird leider nur flüchtig begründet. keine historische herleitung der sog. konservativen revolution, keine übersicht über die aktionen der blocher getreuen seither und vor allem und keine bilanz der wirkungen findet sich auf den 528 seiten. dafür werden viele einzelgeschichten präsentiert, die schliesslich kein ganzes geben wollen. weil die konservative revolution in der schweiz nie stattgefunden hat, ist man geneigt zu sagen.

wichtiger als der tatbeweis ist dem autor, im gefolge der grossen ideologischen wende des westens am ende des 20. jahrhundert zu schreiben. dabei entgeht ihm fast, dass wir heute im 21. jahrhundert leben, und barak obama den von der finanzkrise geschwächten neokonservativen in den usa den todesstoss versetzt hat. am schluss des manuskriptes zweifelt der schreiber aus der schweiz allerdings selber, was er herausgefunden habe. und so bleibt ihm nur der widerruf der ankündigung auf der titelseite: unvollendet sei sie, die revolution des schweizer konservativen, hält markus somm fest, um die durchhalteparole durchzugeben: blocher wird nach der gescheiterten wiederwahl in den bundesrat kein politisches amt mehr inne haben, seinen auftrag aber nie vergessen. die revolution kommt also doch noch!

“Dieses Buch wird ein Mist!”, muss der autor in der autorisierte biografie den biografierten zitieren. “Sie konzentrieren sich auf die Frage, warum ich abgewählt worden bin. Das scheint mir die falsche zu sein”, gibt somm im epilog einen dialog in herrlibergs stube wieder, ohne emanzipiert genug zu sein, um wenigstens auf dem papier einen überzeugenden gegenstandpunkt zu entwickeln.

das kann ein chronist wie markus somm auch gar nicht, der seinen duzfreund propagiert, denn die nähe zum geschehen ist zu gross, selbst wenn sie durch ein “sie” in allen zitaten kaschiert wird. für dieses buch hätte es einen erfahrenen historiker gebraucht, der nicht nur zeitgeschichte, politik und kommunikation von der pike auf kennt, sondern mit der nötigen unbefangenheit und grossen menschenkenntnis ans werk geht. denn christoph blocher ist viel zu wendig, viel zu clever, und viel zu eigensinnig, um von einem unkritischen parteigänger porträtiert zu werden. gleichzeitig ist er viel zu vielschichtig, viel zu umstritten und viel zu hoch gejubelt worden, um bei einem hagiografisch anmutenden lebensbericht zu enden. und so bleibt das beabsichtigte standardwerk über die unvollendete konservative revolution in helvetien selber unvollendet.

immerhin, die biografie blochers ist vorgestellt, die der stadtwanderer heute abend zwei minuten vor ladenschluss in einer berner buchhandlung auf dem eben fertig gestellten büchertisch weggenommen hat, um sie an der kasse bezahlen zu wollen. “das buch ist noch gar nicht registriert”, sagt ihm die erstaunte verkäuferin. “richtig”, erwidert er, “es erscheint erst morgen”.

stadtwanderer


markus somm: christoph blocher. der konservative revolutionär, herisau 2009, 528 s., 48 chf.

ich erhöhe die transparenz auf dem “stadtwanderer”

meine sehr verehrten leser- und kommentatorInnen!

stadtwanderer
der stadtwanderer hat erscheinungsmässig ein kleines update hinter sich. das layout basiert zwar unverändert auf wordpress, neu aber auf der version 2.7. die verarbeitung wird damit vereinfacht; und die information für leserInnen erhöht.

wer mindestens einmal kommentiert hat, gilt ja als angemeldet, und kann ab zulassung instant-kommentieren. gleichzeitig erfasst wordpress 2.7 auch, wie oft diese kommentatorInnen in den letzten tagen als leserInnen registriert wurden. das erscheint dann in der rechten spalte ganz weit unten. so erscheint der name, den man kennt, neu aber auch in verschiedener grösse, was die regelmässigkeit der wiederkehr anzeigt.

der vorteil für die kommentatorInnen: wer bei der registrierung auch eine website-adresse hinterlässt, bekommt diese via den “stadtwanderer” direkt verlinkt. man kann also zum beispiel sein blog hier vernetzen!

stadtwanderer