weiterentwicklung unserer identitäten statt kampf der kulturen

erstens kommt es anders und zweitens als man denkt! dennoch will ich auch 2009 weder ideologisch noch beliebig, sondern bewusst, offen und überlegt durch meine gegenwart wandern.


sir karl raymund popper, der philosoph des kritischen gebrauchs der vernunft (mitte) gegen die religiösen fundamentalisten wie osama bin laden (links) und george w. bush (rechts)
Bilder: Werner Horvath

samuel huntingtons kampf der kulturen
da habe ich mich in meinem kommentar zu “auf dem weg zur grossen ökumene” an weihnachten über den weltlehrer aufgeregt, und da stirbt samuel huntington just an diesem abend. symbolträchtiger hätte sein tod nicht sein können. auserechnet der einflussreichste verteidiger der jüdisch-christlichen kultur, er vordenker der weltweit ausgerichteten bush-doktrin, verschied an weihnachten 2008.

huntingtons verdienst war es, an die bedeutung von kulturen erinnert zu haben. das war ein grossen programm, das nicht nur die (sozial)wissenschaften verändert hat, sondern auch unser alltagsdenken. selbst das stadtwandererblog ist letztlich ein ausfluss davon. ich mag mich nicht mehr nur mit schemata auseinandersetzen; ich muss auch geschichten erzählen, die aus dem leben gegriffen sind.

und dennoch ist mein kulturverständnis anders als das des wohl us-politologen. denn in seinem versuch, die strukturalistische vereinseitigung des sozialwissenschaftlichen denken zu überwinden, ist er dem gegenteil, einem eigentlichen kulturalismus verfallen. demnach sind kulturen an sich untereinander so verschieden, dass das trennende das gemeinsame auf jeden fall überwiegt, kulturvermischung letztlich unmöglich und damit auch das politische programm der abgrenzung von kulturen geboren ist.

wer so vorausdenkt, muss sich den vorwurf gefallen lassen, mit der überhöhung der differenz eine der gedanklichen voraussetzungen zu schaffen, die zu den konflikten führt, die man selber untersucht. so wurden huntingtons kampf der kulturen so berühmt, weil er nicht nur eine analyse von zeitphänomenen war, sonst selber zum bestandteil des politischen kampfes zwischen kulturen wurde. dampf der kulturen hätte man huntingtons werk auch nennen können, wenn auch die miliärischen konflikt sieht, die in diesem namen geführt werden. “afghanistan” und “irak” waren für die us-amerikaner grund genug, ihre wirtschaftlichen interessen mit kriegerischen mitteln durchzusetzen, und sich dabei auf die chiffren zu berufen, die der harvard-professor in den 90er jahren entwickelt hatte.

amartyra sen weiterentwicklung der identitäten
es kommt wohl nicht von ungefähr, dass ausgerechnet amartyra sen, ökonom aus bangladesh, ebenso wie huntington professor in harvard und nobelpreisträger, zu den berufenstens kritikern des plakativ propagierten kampfes der kulturen wurde. identitätsfalle nennt er das denken des kollegen und seiner anhängerInnen. sein wichtigster einwand ist, dass kulturen von heute nicht ein-, sondern mehrdimensional seien. jeder versuch, kultur auf ein einziges merkmal reduzieren zu wollen, müsse letztlich scheitern.

das gilt nach sen insbesondere für alle versuche, religion zur einig gültigen basis von kultur machen zu wollen. persönliche glaubensbekenntnisse, die untereinander ausgetauscht werden, sind zwar ein wichtiges element der gemeinschaftsbildung. doch sind sie bei weitem nicht die einzige. ebenso grundlegend sind die technikverständnisse, die den fortschritt von gesellschaften beeinflusst haben, die kunst, mit denen selbstverständnisse von kulturen sicht- oder hörbar kommuniziert werden, aber auch die sprache, die uns genauso innerkulturelle vergewisserung wie auch interkulturellen austausch erlaubt. und man tue doch nicht so, wie wenn es keine kasten, klassen, schichten, geschlechter und generationen gäbe, die uns mitbestimmen. nicht die einseitige definition von identität sei unsere aufgabe, sagt sen, sondern die weiterentwicklung unserer vielen identitäten, zu denen wir fähig sind, soll uns leiten.

gerade vor dem hintergrund des westlichen kulturentwicklung sei auch daran erinnert, dass die freiheit des denkens, aufklärerisches licht in das dunkel der glaubens gebracht und die menschen von traditionen wie der ungleichheit, der überlegenheit und des krieges gewarnt, das grosse projekt der menschen-, nicht der kulturrechte geboren, die demokratisierung der politik, beschränkt auch der gesellschaft und der wirtschaft eingeleitet, die technik in bisher ungeahntem masse entfesselt, den nationalismus und den internationalismus hervorgebracht und die modernen gesellschaften befähigt hat, über sich selber nachzudenken. das alles steht dem kampf der kulturen, wie er in wissenschaft, öffentlichkeit und politik beschworen wird, als mächtige widerlegung entgegen.

stadtwandern heute und morgen

die weiterentwicklung von identitäten jenseits ihrer religiösen fundamente zu pflegen, gehört ganz im sinne von “think global, act local “zu den aufgaben des stadtwanderns auch in der post-huntington ära, die so symbolisch mit dem ende der bush-administration zusammenfällt.

stadtwanderer