die vielfalt des glaubens – berns religiöse gemeinschaften porträtiert

der kanton bern hat ein neues handbuch. eines zu den religiösen gemeinschaften auf seinem territorium. ein später, dafür gründlicher sprung zum universellen religionsverständnis der aufklärung ist damit im reformierten bern entstanden. ein überaus spannend zu lesendes werk zur lokalen soziologie darüber hinaus.

portal des berner münsters, von bernischen katholiken gemacht, für bernische refomierte der himmel. nur eines der vielen beispiele für die vielfalt des religiösen lebens im kanton bern.

alles fängt so an: “Als akademische Disziplin ist die Religionswissenschaft wissenschaftlichen Grundsätzen verpflichtet und kann sich also nur mit denjenigen Dingen sinnvoll beschäftigen, die mit wissenschaftlichen Methoden zugänglich sind (…).”

es gehört zu den leistungen der europäischen aufklärung, die basis geschaffen zu haben, sich mit religion beschäftigen zu können, ohne die frage nach dem richtigen oder falschen glauben zu stellen. religionen können einen interessieren, ohne in bestimmter hinsicht gläubig zu sein. vielmehr beschäftigt man sich dabei mit religionen, um sie als produkte der menschlichen kultur zu verstehen, um die bedingungen ihrer entstehung, die voraussetzungen ihres wandels und ihre möglichkeiten und grenzen kennen zu lernen.

ohne den vergleich der religiösen gemeinschaften kann ein solches vorhaben nicht eingelöst werden. deshalb bleibt stefan rademacher nicht bei der theorie der religionswissenschft steht. vielmehr hat er eine ausgezeichnete religionskunde des kantons bern erarbeitete. erschienen ist das werk vor kurzem unter dem titel “Religiöse Gemeinschaften im Kanton Bern” verfasst. entstanden ist es an der universität bern, wo es seit 2005 den studiengang “Religious Studies” mit entsprechender ausrichtung gibt.

die 650 seiten des handbuches behandeln buddhismus, christentum, indische religionen, islam und judentum, soweit sie heute im kanton bern exstieren. in jede religionsgemeinschaft wird behutsam eingeführt, bevor die wichtigsten strömungen dargestellt werden. wer sich über tibetanischen buddhismus, orthodoxe ostkirchen, sikhismus, sunniten und schiiten gerafft und zuverlässig informieren will, wird hier bestens bedient. und wer meint, die christlichen landeskirchen im kanton bern zu kennen, staunt bisweilen, wenn er oder sie beim nachlesen auf eine vielzahl lokaler eigenheiten im protestantischen und katholischen christentum stösst. damit nicht genug! ausführlich stöberten die autorInnen des handbuches nach neuen religiösen und spirtuellen in esoterik, parapsychologie und theosophie, und geben sie überblicke über neuheidnische naturreligionen oder ufo- und yoga-szenen.

noch nicht interessiert? dann lese man nach, was das “diakonissenhaus in bern” heute alles leistet, wer die “jesus freaks” sind, was die “namenlosen” glauben, was die anhänger von “kyrill und methodius” in bern machen, wie man am “self-realization fellowship” meditiert, qui participe au “centre islamique salah” und ob es die “gralsbewegung” in bern gibt.

die kapitel hierzu wurden mit jeweiligen exponentInnen entwickelt und von ihnen auch gegengelesen. entstanden sind so zahlreiche, gut lesbare kurzporträts zu geschichte und gegenwart, zu repräsentativen orten und personen der religionsgemeinschaften sie erschliessen den lesenden eine vielfalt des kulturellen lebens, die man häufig erahnt, aber nicht erfassen kannt. sie zeigen, dass gloablisierung, migration, medienvielfalt und individuelle suche nach weis- und wahrheiten, die basis des religiösen lebens im reformierten bern nachhaltig verändert haben. gelungen ist mit dem handbuch ein sprung zu einer universelleren theologie, die gleichzeitig etwas vom feinsten in sachen bernischer lokalsoziologie ist.

wie gesagt: wer eine bestätigung seines glaubens in diesem handbuch sucht, findet sie nicht. wer meint, religionen seien nur menschliche fantasmen, wird auch enttäuscht werden. wer aber wissen will was religionswissenschaft ist, die sich mit “denjenigen Dingen beschäftigt, die mit wissenschaftlichen Methoden zugänglich sind”, wird seitenlang nur staunen.

stadtwanderer

Stefan Rademacher: Religiöse Gemeinschaften im Kanton Bern. Ein Handbuch. Bern 2008.