der anruf aus hinterkappelen (ein haarsträubender fall für philip maloney)

ich sass in meinem bürostuhl, als das telefon klingelte. die füsse hatte ich dem pult, während meine lippen am wiskyglas klebten. so ist das, wenn man schon länger ohne arbeit ist.

bibliothek hinterkappelen feierte ihr 20 jähriges bestehen (foto: stadtwanderer)
bibliothek hinterkappelen feierte ihr 20 jähriges bestehen

erwartungsvoll hob ich den hörer und sagte einfach “ja”.
– “ist das maloney?”, fragte eine frauenstimme, die ich gerne kennen gelernt hätte.
– “ja”, erwiderte ich, denn das ganze machte mir sofort den eindruck, sich zu einem lukrativen auftrag entwickeln zu können. deshalb schob ich nach: “philip”.
das wiederum hatte ich in einem kurs der regionalen arbeitsvermittlungsstelle gelernt, zudem man mich verknurrt hatte, als ich die letzte steuerrate, die angesichts der schlechten konjunktur in unserer branche übersetzt hoch ausgefallen war, nicht wirklich bezahlen konnte. da hatte man mir gesagt, ich sei jetzt eine ich-ag, und ich müsste versuchen, bei möglicher kundschaft für meine dienste sofort vertauen zu schaffen.
– “mein name ist stadler, marie-louis stadler”, tönte es weiblich-interessant aus dem apparat. das bewies mir, das man sich näher kam.
– “schön, und was kann ich für sie tun?”, fragte ich nach. das machte schon früher so, als ich noch nicht staatlich ausgebildeter arbeitsloser detektiv war. denn hie und da hatte auch das zu aufträgen geführt.

schauspieler michael schacht leiht philip maloney seine unverwechselbar gewordene stimme (foto: stadtwanderer)
schauspieler michael schacht leiht philip maloney seine unverwechselbar gewordene stimme (foto: stadtwanderer)

– “ich möchte sie engagieren, maloney!”
umgehend war ich überzeugt, dass mein unwiderstehlicher köder in der amtlichen anordnung gewirkt hatte.
– “um was geht es denn?”, versicherte ich mich, um nicht ungesehen in einem unlösbaren fall zu rasseln.
– “ich bin bibliothekarin”, bekam ich fast schon einladend zur antwort. das befügelte meine phantasie sofort: ein fall für mich, sagte meine innere stimme, denn seit meiner jugend habe ich alle kriminalgeschichten mit privatdetektiven gelesen, welche die gesamte weltliteratur bietet. das hatte es mir erlaubt, mich so zu positionieren, wie das seit neuestem auch bei uns heisst, dass mir kein kollege in die quer kommen würde. genau genommen, hatte mich das zwar nicht reich, aber berühmt gemacht. den maloney zu engagieren, ist seither eine geschichte für sich.
– “und wo steht ihre bibliothek?”, erkundigte ich mich. denn ich wollte wissen, mit welchem studienkollegen aus den zwei semester, in denen ich juristerei studiert hatte, ich kontakt aufnehmen sollte. die meisten waren heute bei der presse – nicht unbedingt mein fall – und die musste ich unbedingt für mich beginnen. eine reportage in der lokalzeitung erhöht die aufmerksamkeit und kann das geschäft eines privatdetektiven beleben.
– “in hinterkappelen”, erhielt ich unvermittelt zur antwort.
meine hirnzellen, die den gestrigen abend an der bar überlebt hatten, wurden ohne verzug aktiviert.
– “das ist zwischen bern und wohlen”, konterte ich nach einer kleinen kunstpause. “da kann man gut rudern, auf dem wohlensee jedenfalls”, schob ich nach, um ins gespräch zu kommen. denn in gedanken versuchte ich mir vorzustellen, wie der huber heute aussehen mochte. “örsu”, hatte er sich immer vorgestellt, wenn er zum bier in die studentenkneipe kam. heute ist er, wie ich weiss, chefredaktor bei der bümplizwoche. sollte ich nicht nur ins gespräch, sondern auch ins geschäft kommen mit der frau stadler, würde ich den huber gleich kontaktieren, ihn für meine person interessieren und ihn bitten, meine telefonnummer gleich neben dem foto von mir zu plazieren. zwei oder drei anfragen müssten schon herausschauen, um die horrenden rechnungen für das hotelzimmer bezahlen zu können, das ich mieten würde, um den fall der bibliothekarin zu lösen.
– “und was geht schief in ihrer bibliothek?”, trieb ich das acquisitionsgespräch nun auf die spitze.
– “nichts, gar nichts”, antwortete die dame. ihre stimme, die mir schon so vertraut gewesen war, bekam eine ungewohnt helle färbung.
ich zuckte zusammen, legte das wiskyglas, das ich immer noch in der linken hand hielt, zur seite und hiess meine füsse, wieder am boden platz zu nehmen.
– “was führt sie dann zu mir”, widerholte ich, den grad der verbindlichkeit unserer beziehung, die sich so gut angelassen hatte, mit der tiefe meiner stimme betonend.
– “unsere bibliothek ist sehr erfolgreich. und jetzt soll etwas unerwartetes passieren”, liess mich frau stadler wissen.

schriftsteller roger graf erfand in den letzten 19 jahren an die 300 haarsträubende fälle, die sein maloney zu lösen hatte (foto: stadtwanderer)
schriftsteller roger graf erfand in den letzten 19 jahren an die 300 haarsträubende fälle, die sein maloney zu lösen hatte (foto: stadtwanderer)

– “unerwartetes?”, fragte ich nach, während mein herz schneller klopfte, erste schweissperlen meine stirn schmückten und meine füsse eilends die herumliegenden schuhe suchten, um sich, wie immer etwas gequält, darin aufzumachen.
– “ich kann den intercity von 3 uhr am hauptbahnhof erwischen, wenn ich alles gebe. dann bin ich kurz vor 5 in hinterkappelen. reicht das?”
– “wunderbar, unsere bibliothek wird nämlich heute 20 jahre alt. und das wollen wir feiern. zu gerne hätte ich eine lesung mit roger graf und michael schacht organisiert. man kennt sie in hinterkappelen vom radio. doch ich kann die beiden, die jung und alt jeden sonntag mit ihren kriminalgeschichten erfreuen, nicht ausfindig machen. da habe ich gedacht, das ist ein fall für maloney.”
wirklich widersprechen konnte ich bei der stringente logik meiner neusten mandatin nicht. und so resümierte ich für mich: einen tag in bern, kein fremdes hotelzimmer, nicht schlecht! kontakt zu huber, dem kollegen aus studentenzeiten, ganz gut! und werbung auf der frontseite der bümplizwoche, ohne eine einzigen fall lösen zu müssen, genial!
– “sie können mit mir rechnen”, sagte ich marie-louise stadler. ich werde in meine geheimsten datei nachschauen und sie informieren. notfalls bringe ich das gewünschte gleich selber mit. schauen sie, dass es ein paar leute hat, wenn die jungs in ihre bibliothek kommen, um das haarsträubende missverständnis des philipp maloney zu lösen. so geht das!

stadtwanderer

marie-louise stadler, michael schacht und roger graf haben sich tatsächlich in hinterkappelen getroffen (foto: stadtwanderer)
marie-louise stadler, michael schacht und roger graf haben sich tatsächlich in hinterkappelen getroffen (foto: stadtwanderer)

roger graf und michael schacht treten heute, dem 24. august 2008, um 17 uhr an der 20-jahr-feier der bibliothek in hinterkappelen auf. ihr “philip maloney”, selber erst 19, freut sich, das publikum jeden alters zu beglücken.

bern grollt

die publikation des raumberichtes durch das bundesamt für raumplanung diese woche versetzt bern in schrecken: die schweiz habe drei metropolitanregionen, hiess es da. zürich, basel und genf gehörten dazu, nicht aber bern. das werde konsequenzen bei überregionalen investitionen haben, suggerierte der bericht. und das liess die kantonsregierung nicht kalt; sie interventierte umgehend beim bundesrat.

metropolitanregionen der schweiz, gemäss bundesamt für raumplanung (2008)
metropolitanregionen der schweiz, gemäss bundesamt für raumplanung (2008)

der eiertanz, eine eigene metropolitanregion zu werden
um es gleich klar zu machen: auch ich zweifel ein wenig, ob bern eine metropolitanregion von europäischen zuschnitt ist. dafür fehlt es geografisch gesprochen einfach an einer stark verdichteten grossagglomeration! bern ist für mich eher ein städtenetz, mit der kantonshauptstadt als grossstadt im zentrum, einer reihe vom mittelstädten in der näheren umgebung (biel/bienne, fribourg/freiburg, solothurn und thun), die ihre jeweiligen regionen bestimmen, aber kein übergeordnetes ganzes bilden. die bedeutung der grossregion bern ergibt sich daraus, sitz der hauptstadt und damit das politische zentrum zu sein.

die bisherigen klassifikationsversuche führten für die schweiz zu zwei, drei und fünf metropolitanräumen. je nachdem ist der raum bern dabei oder eben nicht. die offensichtliche schwäche der grossregion ist die internationale vernetzung. bern fehlt es an einem flughafen. das hat für die lebensqualität bisweilen vorteile, für die überregionale wirtschaftsentwicklung ist es aber sicher nachteilig. entsprechend fehlt es in bern an eine wirklichen potenzial für ökonomische innovationen, die von einer produktiven universität mit weltweit hohem renomée getragen würden. einiges davon spricht für einen vorrang zürichs, basels oder genfs.

andere indikatoren, die zur bestimmung von metropolitanregionen beigezogen werden können, sprechen aber eher von bern: die politischen kontrollen, die von der bundesstadt und der hauptstadt des zweitgrössten kantons ausgehen, sind höher, als in genf oder basel, deren regionale territorialbildung historisch gesehen misslang. zudem verfügt bern über zahlreich sportliche und kulturelle zentren, welche die grossregion attraktiv machen. stade de suisse und paul klee museum lassen seit einigen jahren grüssen.

die schweiz: eine metropolitanregion ohne wirkliche metropole

je nach gewichtung solcher definitionsmerkmals fallen die klassifikationen der schweizerischen räume anders aus, als es die raumplaner des bundes tun. sie selber scheinen zu schwanken, führen sie doch nebst den städtenetzen wie jene der ost- oder zentraleschweiz resp. am jurabogen für bern eine eigenen kategorie ein: das städtenetz der hauptstadtregion.

die kritik an solchen typisierungen kann man sogar soweit treiben, die nützlichkeit des konzepts, das von deutschland aus in die schweiz drängt, für unser land ganz zu hinterfragen. wahrscheinlich ist die schweiz eine einzige metropolitanregion, deren besonderheit es ist, keine wirkliche metropole zu haben!

städtenetze der schweiz, gemäss bundesamt für raumplanung (2008)
städtenetze der schweiz, gemäss bundesamt für raumplanung (2008)


die undiskutierte politische implikation

angesichts unklarer eignung und umstrittener einteilungen überrascht die knallharte politische schlussfolgerung des berichts erheblich. sie unterstellt, dass nur noch dem gegeben werden sollen, der schon habe. sicher ist es richtig, die grossregionen der schweiz anzuhalten, ihre hausaufgaben selber zu machen, das heisst für innere dynamik und für wachstum besorgt. doch wirkt der schluss, nur dort zu investieren, wo es genuine prosperität gibt, fast schon unschweizerisch: wären wir ein land, das zehn mal grösser wäre und nur drei zentren hätte, würde der ansatz der raumplaner noch eher nachvollziehbar.

die schweiz hat ihren international hohen standard in der wirtschaftswelt und der wissensgesellschaft nicht dadurch erreicht, auf ein national überragendes zentrum zu setzen. vielmehr hat man historisch betrachtet immer versucht, die kleinheit der verhältnisse zwischen boden- und genfersee auszunutzen, um im verbund der vielheiten stärken zu entwickeln, die einander ergänzen und wegen den geringen distanzen meist auch einfach untereinander ausgetauscht werden können. gerade die vernetzung ist es denn auch, welche die schweizer metropolitanregionen kennzeichnen: der raum lugano ist hochgradig in die metropole mailand integriert, oder basel lebt davon eine der oberrheinischen region mit strassburg in der mitte zu sein.


provokation nicht defensiv abwehren, sondern offensiv verarbeiten

in bern sollte man die provokation der raumplaner produktiv aufnehmen: als zeichen dafür, dass kantonspolitik nicht einfach innerkantonaler interessenausgleich sein darf. dass stadtpolitik nicht einfach im spiegel der umliegenden 30 kilometer beurteilt werden kann. vielmehr gilt es zu fragen, welche potenziale wie die universität und die fachhochschulen fitter gemacht werden müssten, um mehr für die entwicklung der grossregion, ihre positionen im wettbewerb mit andern zu stärken und die internationale ausstrahlung zu erhöhen. es müsste gezeigt werden, was die zusammenarbeit verschiedenartiger städte dies- und jenseits der sprach- und kulturgrenze für integrationsvorteile gerade in einer zeit hat, in der man auf multikultur setzt. und es gilt sich auf stärken wie die politische administration zu besinnen, die durch die anbindung europäischer institutionen in bern aufgewertet werden, und so zum cluster ausgebildet werden könnte, den man nicht einfach mit einem federstrich relegieren kann!

briefe schreiben ist das eine, perspektive aufzeigen und umsetzen das andere. bern rollt statt bern grollt, ist das zukunftsmotto!.

stadtwanderer