die mythen der realität

also bin wieder da. doch noch immer bin ich nicht ganz angekommen. das macht mich aufmerksamer für das, was real und was fiktiv ist. eine aufforderung zu selbstbefragung!

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meist meint man ja, das internet virtuell, und das andere sei dann reell. ich ist das viel zu einfach: das internet wird vielerorts eine virtuelle realität (so auf dem” stadtwanderer”), genauso, wie wir seit langen bei vielen gelegenheiten reelle virtualitäten kennen.

wenn wir sie nur sensibel genug wahrnehmen!

da ist mir natürlich bei meinem ersten besuch in einer berner buchhandlung das buch “die 101 einflussreichsten personen, die es nie gab” aufgefallen. drei kauzige amerikaner sind den vorbildern ihrer (oder der westlichen) kultur nachgegangen, und haben sich gefragt, wer davon auf andere gewirkt hat, obwohl er (oder auch sie) nie gelebt hat.

dafür eigenen sich natürlich vorerste die vergangenen helden. bei ihnen ist es bisweilen ganz schwer zu unterscheiden, ob die kunden von ihnen auf eine wirkliches oder erfundenes leben zurückgreift. es kommen aber auch ikonen der gegenwart in frage. die werbung neigt dazu, uns projektsflächen anzubieten, die, wenn es keine lebenden menschen dafür gibt, vorstellungen davon zum leben erweckt. und wird aus dem buch, das hier besprochen wird, eine sammlung populärer mythen, die teil unserer kultur geworden sind, auch wenn wir sie nicht realen ursprungs sind.

gerade weil das buch von dan karlan, allan lazar und jeremy salter eine echte innovation auf dem buch- und ratingmarkt ist, sind seine aussagen ungewohnt. das fordert fast automatisch zu diskussionen heraus: wer hat die auswahl bestimmt? wie weit spielen da die präferenzen der autoren, nicht die vorlieben der untersuchten kultur eine rolle? wie wurde die reihenfolge bestimmt? was sind verallgemeinerbare faktoren des fiktiven einflusses? das liegt an sich auf der hand. die autoren wissen das, und bemühen sich um transparenz. letztlich aber wissen sie, dass ihr unterfangen keine höhere moral, nur eine unterhaltsame selbstbespiegelung ist.

im einzelfall wundert man sich darüberhinaus über die porträts. gelegentlich ist man begeistert, dann wiederum schüttelt man den kopf, wenn man in eine fiktion eingeführt wurde. doch das macht ein buch anregend. man beginnt selber nachzudenken, wer in der kindheit einflussreich war, der lebensphase, in der man in märchenbüchern, abendteuer- und monstergeschichten, fast unmöglich zwischen realem und fiktivem unterscheiden kann. beim schmökern im neuen, soeben aus dem englischen ins deutsche übersetzte buch wird man auch herausfordert, seine aktuellen vorstellung von wirklichkeit zu prüfen: gibt es in der agentenwelt den james-bond-typ wirklich nicht? king kong ist er nicht am 11. september 2007 auferstanden? und cinderella oder ödipus, sind sie fiktiv vorlagen für populäre psychologische menschendeutungen, mit denen man gutes geld verdienen kann?

unsere drei autoren, alles aussteiger aus dem amerikanischen karrierejobsystem, wissen wie man provoziert: von ihrer rangierung mit den nummer 1 bis 101 gebe ich deshalb hier mal die ersten 10 wieder:

1. der marlboro-mann

2. big brother

3. könig artus

4. st. nikolaus

5. hamlet

6. frankensteins monster

7. siegfried

8. sherlock holmes

9. romeo und julia

10. dr. jekyll und mr hyde

auch für den den stadtwanderer haben die drei amis eine überraschung parat: der in diesem blog so oft zitierte wilhelm tell findet sich, ohne jede problematisierung, an 42. stelle der einflussreiche menschen, die es gar nie gegeben hat. das wird hierzulande nicht allen gefallen, selbst wenn die österreicher die problematik, die mich hier interessiertl, so treffend zusammengefasst haben: ob tell gelebt hat, ist nicht sicher; sicher ist nur, dass er gegen habsburg gekämpft hat!

ich kann da nur noch nachfragen: wenn hätte ihr zu den supereinflussreichen gezählt, die nur in eurer vorstellung real sind?

stadtwanderer

dan karlan, allan lazar, jeremy salter: die 101 einflussreichsten personen, die es nie gab. wie barbie, james bond und hamlet uns verändert haben, aus dem englischen von barbara först, bergisch gladbach 2008

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