der scheinauftrag

das lirum-larum ist ein cafe an der berner kramgasse. mit bar, kleinen tischen und sitzgelegenheiten unter den lauben. gerade richtig, um an einem solch heissen samstag nach dem gang auf den markt an einem schattigen ort den morgenkaffee zu trinken und in der gemütlichen altstadt über die lage der nation nachzudenken.

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der augenblick

das gassengespräch an meinem tisch entwickelt sich rasch. denn die svp änderte gestern ihren europapolitischen kurs. “die opposition weicht der integration!”, weiss mein gegenüber. “ausgerechnet jetzt”, erwidert ihm der nachbar, “wo die svp ihre eigene integration der opposition opfert.”

bilanziere ich die standpunkte in der sache, die ich heute hörte, kann man ohne probleme verschiedener meinungen zum entscheid des parlamentes sein, die verlängerung und erweiterung der personenfreizügigkeit in eine vorlage zusammenzulegen: für die trennung hätte die tradition des schweizer abstimmungsgeschehens gesprochen, komplexe fragen soweit zu zerlegen, um einzelantworten zu sammeln und daraus den schluss zu ziehen. die zusammenlegung indessen folgt von beginn weg der sichtweise aufs ganze: wenn ein nein zur erweiterung ein ja zur verlängerung nachträglich in frage stellen würde, ist es besser, über beides in einem zu entscheiden, um eine interpretierbare entscheidung zu haben.

fasse ich die stimmung darüber hinaus zusammen, ist klar: entscheid ist entscheid! wer ihn nicht akzeptiert, stellt sich, nicht die sache ins zentrum. dazu zählt die svp, die sich seit langem im spagat zwischen wirtschaftsfreundlicher politik und antieuropäischer opposition zu profilieren versucht, um das ganze rechte spektrum dominieren zu können.

der rückblick

man erinnert sich: am 19. januar 2008 kehrte der abgewählte bundesrat christoph blocher aus den nachgouvernementalen ferien in die schweizer politik zurück. auf dem albisgüetli trat er vor dem parteivolk auf und erklärte der versammelten schweizer öffentlichkeit, was svp-opposition inkünfitg heisse:der auftrag, den man bei den wahlen 07 erhalten habe, bleibe der gleiche. wenn man ihn nun nicht in der regierung realisieren könne, mache man das aus der opposition heraus. und da schwadroniere man nicht; man ergreife die volksrechte, zum beispiel das referendum gegen die personenfreizügigkeit, falls die eu im steuerstreit nicht nachgäbe.

das tat die eu selbstredend nicht. doch die svp verzichtete als erstes auf die vermengung der beiden dossiers. als zweites lässt die parteispitze nun auch die referendumsdrohung fallen. um die eigene pirouette in einer kernfrage der partei zu kaschieren, diskrediert man in der bekannten propagandasprache den gegner: die dikatoren in der sp, cvp und fdp hätten in die trickkiste gegriffen, um das volk auszuschalten. da die gestellte frage nicht beantwortet werden könne, solle die svp die finger vom referendum lassen. während der unterschriftensammlung und im abstimmungskampf!

verschiedene krampftruppen, die sonst im windschatten der svp politisieren müssen, sehen das anders: die lega dei ticinesi allen voran, die das referendum lanciert hat; gefolgt von den schweizer demokraten, die schon unterschriftenbögen im bekanntenkreis verteilen; und der jungen svp, die sich irritiert gegen die vaterpartei stellt. entscheidend ist aber, dass auch die auns, sonst immer svp-treu, bei der euorpafrage nicht kneifen kann und beim referendum mitmacht, denn das bringt namhaft zugänge zu sympathisanten, die in solchen fragen immer unterschriftswillig sind.

der ausblick

es ist damit zu rechnen, dass zwischen dem 2. juli und 2. oktober die nötigen 50’000 signaturen zusammenkommen werden. denn die ausgangslage war schon einmal ähnlich: bei der einführung der personenfreizügigkeit war man seitens der svp auch eher passiv; man konzentrierte die aktivitäten auf das referendum gegen die abkommen von schengen-dublin!

damals wie heute wollte der wirtschaftsflügel der partei die differenzierung. das hielt jeodch nur solange, bis die referenden und die abstimmungskakade standen. danach entschied sich die svp, beides in einem zu bekämpfen, fürchtete sie doch die entstehung einer anti-europäisch gesinnten partei rechts von ihr. vor dem gleichen problem steht diesmal parteipräsident toni brunner, und zwar nicht zu knapp!

so werde ich ab oktober wieder ins lirum larum kaffee trinken gehen. um auf dem marktplatz der samstäglichen meinungen über die lage der nation nachzudenken. zum beispiel über scheinheilige, scheinflüchtlinge und scheinreferenden. aber auch über scheinopposition, scheinpräsidenten und den scheinauftrag.

stadtwanderer

foto: stadtwanderer