bern verärgert new bern verärgert bern

ich war geneigt, eine wohlwollende ausstellungskritik zu schreiben. das thema interessierte mich, den fotografen kenne ich. und der ausstellungsort ist mir nicht unsympartisch. doch dann geriet ich mit der aufsicht unverhofft ins gespräch und verliess nach einem ernsthaften konflikt die exposition wieder.


fotos, die im öffentlich subventionierten kornhausforum erlaubt sind: die new berner bären und der old berner bär. alles andere ist während der fotoausstellung verboten (fotos: stadtwanderer, anclickbar)

michael von graffenried fotografiert, was aus der gründung seiner vorfahren geworden ist

“bern verärgert new bern”, titelte “das magazin” des tages-anzeigers und der berner-zeitung vor kurzen. berichtet wurde über michael von graffenrieds fotoreportage, die er im amerikanischen north carolina über die provinzstadt mit schweizerisch anmutendem namen gemacht hatte.

angefangen hatte alles in minne. denn ein vorfahre des bekannten fotografen aus bern, christoph von graffenried, war vor 297 jahren der gründer von new bern gewesen. und das weiss man heute noch in der stadt. genauso, wie man sich der erfindung von pepsi-cola in einer apotheke new berns gerne erinnert. das verschaffte dem exilierten michael, der heute in paris lebt, vorschusslorbeeren. “das magazin” berichtete, dass sich alle in new bern ablichten lassen wollten, – am liebsten jedoch mit dem fotografen von rang und namen, nicht durch ihn.

doch dann begann der ärger. michael von graffenried jedoch nahm sich die freiheit heraus, ohne vorschriften in new bern zu arbeiten. von der auftragsarbeit als pressefotograf hat er sich angewidert abgewendet. pr-fritzen würden bestimmen, was man zeigen darf und was nicht. das vermiese die gute laune im geschäft, weshalb er es vorzieht, als freischaffender künstler zu agieren.

und so machte er bilder von dem, was ihn interessierte:

zum beispiel wie der hobbyjäger, der einen bär erlegte, voller stolz seine schweizerisch-amerikanischen waffensammlung präsentiert.
oder wie das marine corps in vollmontur im hallenbad das entrinnen vor dem ertrinken übt.
oder wie muslimische flüchtlinge aus der ex-sowjetunion in einer der 135 ortskirchen aufgenommen werden.
oder wie das baseball-team unsportlich rumhängt, statt siege zu erringen.
oder wie polizei einen irak-helden verhaftet, weil er an eine hausecke gepinkelt hatte.
oder wie sich die starke schwarze minderheit in new bern stolz zeigt, dass sie sich trotz schlechter lebensbedingungen stärker vermehrt als die weisse mehrheit.
oder, oder, oder.


das plakat zur kritisierten fotoausstellung “our town”, die bestaunt, aber nicht hinterfragt werden darf, – fotografiert auf öffentlichem grund und boden (foto: stadtwanderer, anclickbar)

das fotografierte gefällt den fotografierten nicht …

nach der ersten ausstellung in new bern hagelte es denn auch proteste in der lokalen presse, weiss “das magazin” für ihre story aufmerksam erheischend zu berichten.

die bilder seien rassistisch …
sie würden einseitig die dunkeln seiten der stadt zeigen …
sie seien wenig schmeichelhaft …
und sie würden keinen goodwill für new bern in der welt schaffen …

habe man dem eindringling aus der alten welt entgegengehalten.

michael von graffenried wiederum bekümmerte das nicht. den bürgermeister der stadt, an verbindungen mit old bern interessiert, liess er verteidigend ausrichten: “man kann einem künstler nicht vorschreiben, was er darstellen soll.”

… und das fotografieren des fotografierten gefällt dem fotografen nicht

aber man kann dem stadtwanderer vorschreiben, wie er darüber zu berichten hat!

als ich nämlich, wie bei einem veranstaltungsbesuch üblich, meine fotokamera zückte, um meine impressionen festzuhalten, wurde ich gleich zurecht gewiesen:

“das fotografieren ist verboten”, sagte die dame an der kasse.

“wie bitte?”, gab ich erstaunt zurück. und:

“soll das fotografieren ausgerechnet in einer fotografie-ausstellung verboten sein?”

“ja, das sei vorschrift”, wurde ich zurechtgewiesen.

nur den berner bär und new berner bärin im wappen der beiden städte liess man mich ungehindert ablichten.

als ich mich von dieser höchst unerfreulichen überraschung erholt hatte und nochmals das gespräch mit der dame suchte, wurde man noch deutlicher: die werke seien privat. sie seien im eigentum des künstlers. und dieses eigentum sei geschützt.

die freiheit des künstlers und ihr gründlicher schutz

ich fragte mich: was eigentlich wird hier geschützt?

– das leben von menschen, die so sind, wie sie sein wollen, und nicht so, wie sie sein sollen?

– die freiheit des fotografen, der sich berufen fühlt, eben dieses leben so zu zeigen, wie es ist, und nicht so, wie man es sich wünscht?

– oder die diskussion dieses spannungsfeldes, das argumente des exil-berns in paris wie auch der nachfahren der exil-berner in new bern unvoreingenommen abwägen will?

nach kurzer überlegung ist mir klar: michael von graffenried is the winner.

die verlierer sind die ungefragten fotografierten. und würde das wiederum fotografiert, könnte auch er ein verlieren werden.

das jedoch ist nicht gefragt: kunst ist kunst. diskussion brauchte sie hierzu nicht wirklich. staunen genügt.

so verlasse ich ohne eigentliche eindrücke von der ausstellung das öffentlich kornhausforum und sage mir: “bern verärgert new bern verärgert bern.”

stadtwanderer