spurensicherung in worblaufen

der weg ist mir bekannt. wenn ich im berner rbs-bahnhof einsteige, gehe ich normalerweise zu regula stämpfli. wenn sie von ihrem heutigen wohnort brüssel aus nicht gerade irgendwo in europa weilt, kann man sie in worblaufen bei ihrer mutter hanni treffen. und wenn hanni stämpfli genügend kraft hat, kocht sie schon mal liebevoll für all ihre gäste ein feines essen.


auf zur gosteli-stiftung in worblaufen (fotos: stadtwanderer, anclickbar)

ja, um frauen und ums essen ging es auch heute. doch diesmal musse ich in worblaufen noch zweimal mehr um die ecken. ein besuch bei der gosteli-stiftung war angesagt, die heute ihr 25jähriges jubiläum feierte. gegründet wurde sie 1982 von marthe gosteli, die ein unvergleichliches archiv zur historischen spurensicherung der schweizerischen frauenbewegung geschaffen hat.

frauenrechtlerin marthe gosteli, ehrendoktorin der geschichte

marthe gosteli, gerade mal 90, ist mindestens so resolut wie regula stämpfli. sie hatte kein einfaches leben; sie diente im 2. weltkrieg im militär und arbeitete danach auf der us-botschaft in bern. das machte sie zur frauenrechtlerin. plakate von 1959 zur einführung des frauenstimm- und wahlrechts prägten nicht nur das leben der vizepräsidentin des bundes schweizer frauenvereine; sie marktierten heute den zugang zur jubiläumsfeier.


heute im zentrum: marthe gosteli, mit rotem hut, else züblin-spiller, auf dem plakat, und regula stämpfli, mit fotoapparat (fotos: stadtwanderer, anclickbar)

“frau gosteli”, wie die publizistin respektvoll genannt wird, stammt aus einer bgb-familie, wie sie mir postwendend versichert, als sie mich sieht. ihr vater sei aber ökumenisch gesinnt gewesen, deshalb habe man ihn an den rand gespielt. auch marthe gosteli hat sich aus dem gnägi-umfeld von damals emanzipiert; niemandem entgeht, dass sie heute einen roten hut trägt.

“vergessene geschichte”, in 2 bänden, ist ihre hauptwerk, präzis zu beginn des 21. jahrhunderts im stämpfli-verlag erschienen. die burgermedaille der stadt und die ehrendoktorwürde der universität hat sie für ihre arbeiten dazu erhalten. wenn die lebenszeit ihrer zeitgenossinnen abgelaufen war, fuhr sie mit dem auto vor, erzählt regula stämpfli, und packte die schacheln mit den erinnerungen der engagierten frauen ein. forscherInnen der geschichte aus allen richtungen danken es ihr bis heute.

viele leute waren schon vor der eröffnung der jubiliäumsausstellung da, – frauen und männer, um der geschichte des geschichtsarchives zu gedenken. und auch so manche freiwillige, die die stiftung mit engagement mitträgt, macht sich bereit, zur aufarbeitung der schweizerischen frauengeschichte auskunft zu geben.

volksernährerin else züblin-spiller, ehrendoktorin der medizin

ein einfaches plakat kündet an, wem man heute am meisten gedenkt: else spiller, 1881 winterthurer arbeitermilieu geboren, seit 1919 mit dem arzt ernst züblin verheiratet, und von da an unter dem namen else züblin-spiller eine schweizweit bekannte journalistin.


spurensicherung zur frauengeschichte: hauptaufgabe des gosteli-archivs (fotos: stadtwanderer, anclickbar)

1911 wurde sie als erste frau in der politischen redaktion einer schweizer zeitung fest angestellt. ihre nzz-reportagen über die soziale frage, vor allem über die alkoholprobleme in den familien, haben sie für diesen posten empfohlen. 1914 verschärften sich die gesellschaftlichen probleme. die männer wurden zum militärdienst eingezogen, ohne einen lohnersatz zu bekommen. sinnloser wachtdienst, preussisch geprägter drill und schlechte versorgung mit essen und trinken liessen den konsum von alkohol rasch ansteigen.

spiller, noch unverheiratet, schritt zur tat: als alternative zum wirtshaus setzte sie die alkoholfreie soldatenstube durch. der generalstabschef von sprecher unterstützte die kämpferin, die stets der abstinenzbewegung nahe stand. im jura eröffnete der “schweizerische verband soldatenwohl” erstmals einen ort, wo sich armeeangehörige usruhen konnten, ohne zum schnapps zu greifen. bis zum kriegsende waren es mehr als 1000 davon. geführt wurden sie von frauen, die bald zu beliebten soldatenmüttern avancierten. und ihre chefin, else spiller, nannte mal schon mal generalin.

nach dem krieg stellte sich die zukunftsfrage des verbandes nur kurz. in den “schweizer verband volksdienst” wurde er umbenannt. und der forderung nach alkoholfreien soldatenstuben folgte nahtlos jene zu den arbeiterstuben. überzeugt, dass schlecht ernährte arbeiter nicht die optimale leistung erbringen, gewann sie erste fabrikanten für ihre idee. die gebrüder bühler in uznach, waren die ersten, die nägel mit köpfen machten und preisgünstiges, aber nahrhaftes essen ausgaben. um zu sparen, propagierte der svv in der folge die selbstbedienung, womit die betriebskantine, die man heute noch kennt, eingeführt wurde. die pionierin der soldaten- und arbeiterernährung erhielt für ihr engagement den ehrendoktor der medizin.

bei ihrem tod 1948, zählte else züblin-spillers lebenswerk fast zweihundert betriebe. der verband hatte 1500 angestellte und verpflegte täglich mehr als 50’000 menschen. seit 1999 besteht die sv group als nachfolge-organisation. sie hat die zeichen der zeit erkannt und sich ganz aufs catering verlegt. damit feiert man wieder erfolge: 500 mio chf umsatz erwirtschaftet frau jährlich, 7000 angestellte hat frau in der schweiz und im angrenzenden ausland. mit einem marktanteil von gut der hälfte ist die sv group in der schweiz gar die marktführerin im catering service!

publizistin regula stämpfli, doktorin der frauen- und armeegeschichte

die ausstellung für die grosse frau der volksernährung, mitten in den räumlichkeiten der gosteli-stiftung, war schlicht. es wehte einem kein duft einer cüpli-veranstaltung entgegeben. und auch keine nouvelle cuisine verzauberte beliebige schaulustige. worblaufen ist dafür zu traditionell. und die gosteli-stifung steht viel zu fest auf dem boden der realitäten, um in solche gefilde abzuschweifen.

das bauerngut, auf dem das jubiläum der stiftung gefeiert wurde, liegt etwas abseits, und wurde von einem feuerwehrmann bewacht. husch-husch machten die freiwilligen, die die stiftung stützen, ein gruppenfoto im freien bevor die interessierte gästeschar kam. die engagierte historikerin regula stämpfli, die heute in brüssel wohnt und regelmässig in ganz europa vorträge hält und kurse gibt, lässt es sich nicht nehmen, selber mit dem fotoapparat abzudrücken.


das team im hintergrund, das die popularisierung der schweizer frauengeschichte vorantreibt (fotos: stadtwanderer, anclickbar)

die jubiläums ausstellung in der scheune wirkte sympathisch improvisiert. da wurde kein franken unnötig für eine prestigeveranstaltung ausgegeben. an der einen wand hingen ein paar fotokopierte bilder aus dem leben der pionierin else züblin-spiller. und essgeschirr und -besteckt aus soldaten- und offiziersstuben symbolisierten die anfänge ihres unternehmens. auf der anderen seite waren viele schürzen aufgehängt. und mitten drin liess regula stämpfli die geschichte der frauen in der schweiz seit der französischen revolution wortreich und aus dem effeff entstehen. unweigerlich kam einem in diesem raum regula stämpflis doktorarbeit in den sinn. “mit der schürze zur landesverteidigung” heisst das buch, und es geht dem beitrag der schweizer armee für die frauenemanzipation während der weltkriege nach.

hinter den schürzen im gosteli-archiv sah man auch das gedächtnis des schweizerischen verbands volksgesundheit, das die engagierte historikerin bei der umwandlung des verbands in die sv group gerettet hat. getreu dem vorbild von marthe gosteli, brachte sie die zahlreichen schachteln aus dem keller des verbandes in die stifung zur frauengeschichte ein. und auf dem obersten tablar entgeht mir die schachtel “gebr. bühler, uznach” nicht. auch an ihre spuren bei der neuerung der verpflegung von belegschafte werden hier gesichert.

augusta gillabert-randin, titellose kämpferin aus moudon

noch bevor ich mich verabschieden konnte, drückte mir marthe gosteli ihr neuestes buch, das sie mit peter moser – dem anderen stiefkind der berner historikerinnen-zunft, wie sie noch rasch einflechtet – herausgegeben hat, in die hand: “Une paysanne entre ferme, marché et associations”, heisst es, und es ist augusta gillabert-randin, der waadtländer frauenrechtlerin gewidmet, die man im lexikon des kantons ganz einfach vergessen habe, schimpft die elegante alte dame des schweizerischen frauengeschichtsarchivs.

ich kann da nur sagen: auf in das städtchen moudon, um wandernd weitere spuren zu sichern!

stadtwanderer

mehr dazu:
gosteli-stiftung
regula stämpfli