bärenkult in bern – galloromanische göttin artio verweist auf seinen ursprung

wenn bern nicht von bär kommt, heisst es nicht, dass man im aaretal bei bern nicht seit langem eine tiefe beziehung zu bären hatte. relevantes dazu deutet aber darauf hin, dass der bärenkult im aaretal nicht germanischen ursprungs ist, sondern keltische wurzeln hat.


rekonstruktion der bronzestatuette von muri, die tier-mensch-gottheit artio (bärIn) darstellend, wie sie im berner historischen museum zu sehen ist.

die heidnischen götzenfiguren von muri

man schrieb das jahr 1832. das alte regime der zurückgekehrten patrizier in der stadt bern hatte abgedankt, und die liberale bewegung auf dem land war soeben in schwung gekommen. überall herrschte aufbruchstimmung im jungen kanton bern.

am 16. mai desselben jahres räumten auch die söhne des pfarrers ris von muri den garten. die erde wurde abgetragen, um neu bepflanzt zu werden. doch bevor man jedoch die frischen samen säen konnte, machte man just vor dem pfarrhaus einen erstaunlichen fund: einige bronzestatuetten kamen beim erdlockern hervor, die sofort zahlreiche schaulustige anzogen. der hinkende bote, das mitteilungsblatt für die landbevölkerung, berichtete als erster über die heidnischen götzenfiguren; und die gesamte presse von bern und umgebung doppelte zum seltsamen fund aus muri ausführlich nach.

insgesamt hatte man acht einzelteile gefunden; bei sechs davon war klar, dass es sich um personifizierte göttheiten in römischem stil handelte; bei einem sprach man von einem grossen, sonderbaren hund, und das achte stück war schwer zu bestimmen.

beschriftet waren zwei weibliche gottheiten; zur sitzenden stand: “DEAE ARTIONI LICINIA SABINILLA”, übersetzt hatte man da vor sich “der göttin artio (geweiht von) licinia sabinillia”.

die deutung der galloromanischen tier-mensch-gottheit artio

was man gefunden hatte, fand erst in einem fast siebzigjährigen prozess der staunens, des vermutens und des kombinierens seine verbindliche entschlüsselung: zu artio, der göttin, gehörte der vierbeiner, ursprünglich auf der platte mit der göttin festgemacht und zwischen einem knorrigen baum und einem fruchtständer stehend. dominant war er, und auf die göttin gerichtet. artio selber sass auf einem kleinen thron, der aber nicht erhalten war. nur ihre sitzende stellung deutete an, dass sie einmal vor dem tier sass und früchte auf ihrem schoss hatte.

in der rekonstruktion der bruchstellen ergab sich einen tier-mensch-kombination, die um 200 nach christus entstanden sein musste und aus bronze geformt worden war. der name “artio” legte die spur für die entschlüsselung der darstellung und des tiers, denn im griechischen bedeutet „arktos“ bär.

der vierbeiner war also ein bär, neben stier, eber und hirsch bei den keltischen helvetiern ein verehertes tier. da die keltische sprache griechische einflüsse hatte, dürfte der namen für bär im helvetischen zwischen arktos und artio gewesen sein. artiu ist denkbar, und es hätte art- im altirischen resp. als arthus/arthur in der namensgebung überlebt.

die kombination war typisch für die römer, die sich wie die stifterin, licinia sabinilla – die erste bernerin, wenn man so will -; sie übernahmen die keltischen gottheiten der lokalen bevölkerung, denn von ihnen gingen die kräfte im alltag aus, doch symbolisierten sie nach rämischem mit personen. der göttliche bär, wie auch die göttliche frau gehörten sinnbildlich zusammen, waren aufeinander bezogen, und die grössenordnung deutete an, was zuerst war, und was danach folgte.

der bärenkult in bern ist keltischen ursprungs und keine schöpfung der zähringer

belegt ist damit, dass es in der region der aare (reg.arvre wie auf einer zweiten inschrift steht) in keltischer zeit bärenkulte gab. das wiederum verweist auf das zusammenleben von bären und menschen bei den helvetiern. als die römer wohl in 1. jahrhundert nach christus in die aaregegebend kamen, änderte sich das verhältnis zu den bären. sie waren nicht mehr ein befürchteter, aber auch geachteter teil des riesigen waldes. vielmehr wurden sie zu einem beliebten jagd- und handelsobjekt. denn in rom war es unter verschiedenen kaisern hoch im kurs, seltsame tiere aus fremden gegenden vorzuführen, und im kolosseum in blutigen kämpfen mit anderen tieren oder gladiatoren kämpfen und sterben zu sehen.

dazu passte, dass man die kräfte, die in der natur steckten, nur in form von symbolen zu speichern, aber auch zu bändigen suchte. artio, die weibliche gottheit der galloromanen, war ein solches symbol. vielleicht wurde der bär schon einem keltischen tempel aus holz im quadratischen feld an gleicher stelle verehrt. vielleicht haben die römer daraus einen tempel in ihrem stil gemacht, aus stein (“mure”, der mittelalterliche namen für muri, zeugte von der dauerhaftigkeit der römischen einrichtungen in der gegend), und vielleicht stand das pfarrhaus von muri im 19. jahrhundert immer noch an der gleichen stelle. sicher ist, dass alles in dessen garten gefunden wurde.

berner historisches museum stellt den speziellen fund gebührend aus

heute kann man den fund in seiner rekonstruierten originalfassung im bernischen historischen museum von bern bestaunen. er ist der älteste beleg für die nähe von bär und mensch im aaretal, – wohl 1000 jahre älter als die stadtgründung durch berchtold v., herzog von zähringen, von dem notabene kein bär wirklich überliefert ist. erst könig heinrich, der vertreter des deutschen reiches, liess ein siegel mit dem bären prägen, das erste als die zährigner schon sechs jahre ausgestorben waren. wie auch der bär zur zeit der zähringer in bern!

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weiterführende informationen: dea artio, die bärengöttin von muri. römische bronzestatuetten aus einem ländlichen heiligtum, bern 2002

woher der name bern kommt

„bern“, berndeutsch bärn, standarddeutsch bern, französisch berne und italienisch berna, ist nicht so einfach zu enträtseln. das lexikon der schweizerischen gemeindenamen, von den dialektologen der universität neuenburg zur expo 02 herausgegeben, hält fest: „Die Herkunft des Namens Bern ist noch nicht endgültig geklärt.“ doch sie verweisen auch auf eine Piste, die in den letzten gut 20 Jahren immer mehr wegmarken verbindet und dabei alte pfade zusehends überlagert. bern kommt demnach nicht vom germanischen wort für bär, sondern vom keltische wort berna für kluft.

wie es der volksmund sagt

für den volksmund ist die sache klar: berchtold v., herzog von zähringen, der stadtgründer, hat seiner stadt den namen geben. die stadtgründungssage lässt ihn zu seinen getreuen auf der halbinsel im sack der aare sprechen: „geht hinaus in die eichenwälder; das erste tier, das ihr erlegt, soll der stadt den namen geben!“ einen bären sollen die jäger gefangen und getötet haben, womit der name gegeben war: “bär – bärn – bern” ist die populäre herleitung des neuen stadtnamens und -stadtwappens!

die germanische namensherleitung

1880 wurde die gleichung “bern=bär” erstmals umgedeutet. sprachforscher erinnerten an den sprachlichen und herrschaftlichen zusammenhang von bern und verona im heutigen italien. diese stadt nannte man im mittelalter gern auch „welsch bern“. bern war damit „deutsch verona“. und das war nicht nur ein sprachspiel: die zähringer waren, nachdem sie 1056 nicht, wie erhofft, herzöge von schwaben geworden waren, amtsherzöge in der markgrafschaft kärtnen gewesen. sie figurierten damit auch als die stadtherren von verona. ihr glück im alpenherzogtum dauerte indessen nicht lange, denn sie kehrten schon nach wenigen jahren von dort zurück, um sich im südlichen schwaben, dem thur- und zürichgau festzusetzen, und später über den aargau ins burgundische gebiet, der heutigen romandie, vorzustossen. hier entwickelten sie im grenzgebiet zwischen dem geteilten herzogtum schwaben und dem unselbständig gewordenen königreich burgund ihren neuen territorialstaat. als sie bern – ihre letzte, wichtige gründung – vollendet hatten, hätten sie, so die neuere auffassung, ihr in erinnerung an die legendäre stadt in kärnten den namen verona im üchtland gegeben. belegt ist dieser gebrauch zwar nicht zu lebzeiten der zähringer, schriftlich verbrieft ist es aber für das 14. jahrhundert.

und das war nicht ohne! denn mit verona brachte man auch dietrich von bern, eine zu zeiten der höfischen ritter der beliebtesten figuren aus den geschichte in verbindung. angespielt wurde dabei auf den gotenkönig theoderich, der in ravenna seinen hauptsitz hatte, und der nach dem untergang des römischen reiches könig über italien geworden war. seine taten wurden in den nibelungen legendär besungen, und mit jenen der hunen, der burgunder, der merowinger und ihren königinnen eng verbunden. sie blieben bis in die heutige zeit beliebt, selbst wenn der historische wert dieses epos umstritten ist.

es ist typisch, dass die übersetzung von verona zu bern lange zeit die gültige herleitung des stadtnamens blieb. noch 1981 hielt man in einer angesehenen schrift hierzu fest, diese herleitung sei auch hundert 100 jahre nach ihrer prägung „unbestrittenermassen die richtige“.

die keltische namensherleitung

doch dann kam der schock für alle, die an der germanenthese festgehalten hatten. 1984 entdeckte man in der engehalbinsel eine untergegangene siedlung, deutlich älter als das zähringische bern. sie stammte aus keltischer zeit und war von den römern erobert worden. sie soll in die abhängigkeit von aventicum gekommen sein, der ersten römischen stadt im land der helvetier. die stadt auf der benachbarten halbinsel soll flächenmässig sogar die grösste keltensiedlung im land der helevtier gewesen sein. bewohnt war sie nachgewiesenermassen bis ins 3. jahrhundert.

brenodor hiess die vorläuferstadt des mittelalterlichen berns. übersetzt dürfte es der (geschützte) markt des brennus geheissen haben. brennos wäre demnach der keltische begründer des ortes gewesen. brenodor, keltisch wohl brenodurum, wäre damit wie solothurn und winterthur, salodurum und vitodurum, einer der grossen keltischen handelsplätze im mittelland gewesen, noch bevor die römer kamen.

der versuch, bern direkt aus brenoder abzuleiten, ist jedoch gescheitert. dennoch legte die keltische vergangenheit des siedlungsplatzes in den aareschlaufen die spur. auch in der nydegg fand man keltische spuren, und zwar genau dort, wo die aare das schmale stück zwischen den molassefelsen passieren muss. der wilde fluss, der gerne das bett wechselte, überschwemmungen brachte und nur schwer berechenbar war, war genau an dieser stelle gut zu passieren. genau 60 meter breit war er hier zu jeder zeit, und zwischen den felsen kannte man seit langer zeit einen fährbetrieb. nicht auszuschliessen ist zudem, dass die burgundischen könige die grenzstelle mit der fähre im 10. jahrhundert befestigen liessen, und die zähringern, als sie die stadt gründeten, diese zu ihrer burg auf dem nyeggfelsen, wo heute die kirche steht, ausgebaut haben.

nicht der bär im eichenwald, sondern die kluft an der aare hat den namen bern bestimmt

bern wäre demnach der ursprünglich keltische abschnittsnamen der aare an der nydegg, oder sogar die bezeichnung der stelle, wo der fährbetrieb war. dafür spricht, dass auch im altirischen, direkt aus dem keltischen entstanden, bern „kluft, schlitz“ bedeutet, und in anderen ortsnamen mit flusskontakt erhalten geblieben ist.

mir gefällt diese neue these gut, auch wenn sie nicht lückenlos belegt ist. Wie fast alles in der frühgeschichte, versteht man auch die namensgebung von bern nur, wenn man sie verkehrshistorisch herleitet. die rein mittelalterliche herleitung des namens bern aus verona bleibt letztlich unhistorisch. sie ist symptomatisch dafür, dass man die zähringische stadtgründung „ex nihilo“, als eine aus dem nichts, darstellen verstanden hat. das ist weder geschichtlich noch archäologisch richtig. derade an der stelle, wo man möglicherweise seit jahrhundert die aare vorteilhaft passiert hatte, dürfte es immer eine kleine siedlung gegeben haben, und genau diese siedlung hat seit keltischen zeiten der stadt ihren namen gegeben. Der name ist nicht so romantisch entstanden, wie man das im mittelalter glaubte und bis vor kurzem auch stützte. er ist vielmehr herrschaftlich erstanden, als ausdruck des ortes, den man strategisch beherrschen musste, wollte man im aaretal regieren.

bern, als schlitz, durch den die aare aus geologischen gründen im bereich der nydgg gehen muss und als die kluft, der die aare genau aus den gleichen gründen auch immer passierbar machte, ist für mich jedenfalls die plausibelste herleitung des stadtnamens.

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