mon cher stapfer!

ich war im aargau – berufshalber – unterwegs, in sachen gemeindereform. da kommt man um ihn nicht herum: philipp albert stapfer, – der philosoph und der kantonsgründer! noch heute gedenkt man seiner auf der ehrwürdigen “lenzburg” mit dem “stapferhaus”, und in fast jeder gemeinde gibt es eine “stapferstrasse”. zurecht, sagt der stadtwanderer, der seinen übrigen geblieben spuren bis in die gegenwart nachgegangen ist.


philipp albert stapfer, der intellektuelle der helvetischen republik

berner sohn und bürger von brugg

die stapfers sind von brugg. im 18. jahrhundert waren sie eine der angesehensten theologenfamilien der berner republik. vater daniel war zweiter pfarrer im berner münster und hatte sophie burnand von moudon geehelicht. der kleine philipp kam den auch in bern zur welt, und er besuchte daselbst die akademie, welche die berner theologen ausbildete. rasch viel er da wegen seines philosophischen talents auf, sodass ihm sein lehrer johann ith eine fortsetzung seiner studien in göttingen ermöglichte.

zurück in bern wurde er 1792 am neu gegründeten politischen institut der berner akademie erster professor für philosophie, betraut mit der aufgabe, den berner zöglingen politisches denken in veränderte zeit zu lehren. er bestand diese aufgabe mit bravour, – aber nicht so, wie es schultheiss von steiger von ihm erwartet hatte. immanuel kant, einen anhänger der ideen, die mit der französischen revolution den durchbruch gefunden hatten, stellte er in den mittelpunkt seiner berner vorlesungen. rasch ging im gar der ruf nach, ein jakobiner zu sein!

der minister der künste und wissenchaften

1798 war professor stapfer aber gerade wegen seinen kenntnissen der französischen revolution gefragt. als die fremden truppen in bern einmarschierten, bestimmte man den lehrer der akademie zum unterhändler mit dem besatzer. stapfer ging nach paris, um mit napoléon die heiklen fragen zu verhandeln, die sich vor allem mit der abschleppung des berner staatsschatzes ergeben hatten. rapinat, der sekretär für die schweiz von napoléons gnaden, liess den helvetier leer laufen. dennoch bestimmt ihn die neue helvetische regierung unmittelbar nach ihrer konstituierung zum minister für künste und wissenschaft. damit war er zuständig für die schulen, die kirchen, die medien – und die brücken!

brücken schlug er als erstes zu den gemeinden, die unter dem ancien régime vernachlässigt gewesen waren: das leben in den dörfern wollte stapfer kennen lernen. den zustand der schule und der kirchen liess er ergünden, um die von ihm angestrebte nationalkultur entwickeln zu können. illustre namen wie heinrich pestalozzi, heinrich zschokke und franz-xaver bronner standen ihm in seinem bureau de l’esprit public zur seite.

der prionierhafte geellschaftsforscher

das ergebnis der ersten enquête war vernichtend. nichts funktioniere in den kommunen, wurde berichtet. kaum ein schüler ging regelmässig in den unterricht, konnte man auf den fragebögen lesen. die lehrer seien miserabel bezahlt, zählte zu den ergebnissen, die ganz auf die pädagogik des taktstockes vertrauen würden.

stapfer merkte rasch, dass man damit keine republik auf die dauern würde halten können. deshalb legte er als erstes sein helvetisches schulgesetz vor, das bis heute als revolutionärer wurf in der schweizerischen bildungslandschaft gilt.

die mühlen der politik setzten dem minister indessen zu. der helvetische grosse rat dabattierte lange und verwässerte viel, und der senat, die nachfolge der tagsetzung, versenkte das gesetz mit allerhand föderalistischen argumenten gar ganz.

emigration nach paris

der überzeugte unitarier, wie sich die zentralisten in der jungen helvetischen republik nannten, liess sich im sommer 1800 zur erholung beurlauben. geradewegs ging er nach paris, wo er seine frau marie vincent kennen lernte. zurückkehren mochte er jetzt nicht mehr; vom direktorium liess er sich deshalb zum gesandten der helvetischen republik beim ersten konsul, napoléon bonaparte, delegieren. das blieb er denn auch bis 1803.

als napoléon nach allen inneren schwierigkeiten, die das werden der helvetischen republik erschütterten, remedur schaffen musste, war stapfer einer der delegierten in der consulta, welche am 19. februar 1803 die mediationsakte in empfang nahm. stapfer hatte sich noch für die gründung eines selbständigen kantons aargau stark gemacht, lehnte es aber ab, in dieser insel der neuen republik, die er zu schaffen hoffte, selber ein amt als politiker oder pädagoge anzutreten. vielmehr blieb er in paris, später in versaille als schriftsteller, mit zunehmend theologischem interesse zurück, bis er, 1840, im kreise seiner familie, gesellschaftlich aber verlassen verstarb.

die helvetischen intellektuellen, einst und heute …

noch heute ist philipp albert stapfer einer der faszinierendsten intellektuellen der kurzlebigen helvetischen republik.

das erstaunt auf den ersten blick: das politische projekt der franzosen in der schweiz scheiterte kläglich. stapfers projekte versandeten samt und sonders. und trotz zahlloser schriften ist bis heute kein philosophisch geschlossenes werk bekannt geblieben.

aber das charisma der ministers, des diplomaten und des weltverbesseres ist geblieben. er glaubte an das gute im menschen, – und löste damit eine optimistische grundwelle unter den aufgeklärten bürgern des 19. jahrhundert aus. wissen sollte dank stapfer macht werden.

ohne stapfer wäre die “helvetik”, wie man die unterschätzte episode häufig zusammenfasst, gar nicht denkbar, hätte es wohl keine selbständige republik an der grenze frankreichs gegeben, und wäre der aargau nicht unabhängig von bern geworden.

in seinen älteren jahren verabschiedete er sich aber, mit blick auf die verhältnisse schweiz, vom reinen unitarischen denken. wie napoléon auch, suchte er nach einer verbindung von zentralistischen und föderalistischen prinzipen der republik, um stabile institutionen von innen her wachsen zu lassen.

im aargau ist daraus ein staat geworden, der von seinem revolutionären geist, indem er entstanden ist, schon länger soviel eingebüsst hat, dass der regierungsrat seit neuestem die revolutionierung von oben wieder aufgenommen hat. aus dem kanton der regionen sollte, gemäss landamman kurt wernli, bald ein kanton mit ausstrahlung und zwei grössere urbanen stadtgemeinden werden!

back to some roots

selbstverständlich, füge ich heute bei, gäbe es ohne philipp albert stapfer auch keine pionierhaften gemeindeuntersuchungen in der schweiz. jeder, der sich mit historischer gesellschaftsforschung der schweiz beschäftigt, kommt an dieser ikone der profession nicht herum. das wissen heute nur noch spezialisten, – und verehrer von stapfer.

dazu zählt übrigens auch die erste bildungsministerin der schweizerischen eidgenossenschaft, ruth dreifuss. wenn sie ihrem sozialdemokratischen bildungsexperten in der fraktion, dem aargauer hans zbinden, schrieb, soll sie ihn jeweils als “mon cher stapfer!” angesprochen haben. der wiederum, ist einer der führernder politiker und pädagoge der gegenwart, der nicht zuletzt 2006 dem bildungsartikel in der bundesverfassung, der zentralisierung bringen wird, zum durchbruch verhalf.

und er liesst viel. auch regelmässig den “stadtwanderer”. mehr noch: er hat mich eingeladen, in seine zähringerstadt rheinfelden zu kommen, um in der alten freien reichsstadt, die mit napoléon zur schweiz kam, um die zukunft der schweiz nachzudenken.

so hat mich der aargau wieder eingeholt: beruflich und darüber hinaus, … nicht zuletzt wegen “mon cher stapfer”.

stadtwanderer