reise in schwarz-weiss. ein berner ortstermin

davor hat es eine geisterbahn. dahinter referiert der autor. die geisterbahn ist ein gruselschiff. der kapitän steht demonstrativ auf deck. der lesende wiederum ist eher schüchtern. er beansprucht nur einen kleinen raum für seine lesung. der kapitän hat einige sklventreiben neben sich. was im schiff selber geschieht, weiss man nicht, man ahnt es nur. der referent ist bloss mit seinem buch und ein paar bildern gekommen. damit will er jedoch klarheit schaffen.

vordergründe banalisieren das schreckliche der vergangenheit
foto: stadtwanderer

das buch

“reise in schwarz-weiss”, heisst das neueste buch von hans fässler. vorgestellt hat er es dieser tage in der berner reithalle, gerade neben der schützenmatt, wo frühlings-chilbi war. fröhlich-ausgelassen wie auf dem fiktiven sklavenschiff geht es aber nicht zu und her bei der berner lesung. denn das thema ist ernst: es geht um echten sklavenhandel.

ja, was soll das, – in der schweiz, möchte man einwenden. “genau, das ist das problem”, erwidert hans fässler präventiv. “die verquickung der schweiz mit dem sklavenhandel wird bis heute ausgeblendet”, ist seine botschaft. und um diese message unter die leute zu bringen, hat er sein buch verfasst. erschienen ist es zuerst für den schweizer buchmarkt, – auf deutsch selbstverständlich. bald soll eine überarbeitete version in paris erscheinen, und frankreich aufrütteln.

der autor hans fässler

besser bekannt ist hans fässler als “provinzkabarettist” (fässler über fässler), als st. galler politiker und gymnasiallehrer für geschichte, der sich für die rehabilitierung von paul grüniger eingesetzt hat. unser wiederholt falsches bewusstsein interessiert ihn am meisten. genau dagegen will er ankämpfen. kein klassenkampf allerdings, sondern ein aufklärungskampf! seine kritiker von der svp beschimpfen ihn als linken miesmacher, und die nzz hält sein buch für ein pamphlet. in haiti jedoch ist er anerkannt, so gut sogar, dass selbst der ehemalige aussenminister antoine, mitglied der regierung aristide, bei der lesung in bern anwesend ist.

als historisch-politisch interessierter stadtwanderer hat mich sein ansatz angesprochen: 19 orte hat er in der schweiz besucht, ist vor allem in den archiven wandern gegangen. ortstermine in sachen schweizer beteiligung am sklavenhandel, könnte man seine arbeit nennen. jedes kapitel beginnt mit einer adresse, ganz nach dem sinn bert brechts, wonach das böse stets einen namen und eine adresse habe.

sein berner ortstermin

“3011 bern”, heisst das nüchtern auf die hiesigen verhältnisse angewandt. angespielt wird auf die beteiligung des staates bern am englischen sklavenhandel. nicht, dass man sich die hände direkt schmutzig gemacht hätte. aber kapitalmässig war man mit der south sea company verbandelt. die berner republik war nach 1723 der grösste aktionär an der gesellschaft, die skalvenhandel betrieb.

hauptangeklagter an diesem abend ist karl ludwig von haller, der enkel des berühmten albrecht von haller. hier – und weit herum in europa – kein umbekannter. in bern war er sekretär des letzten schutheissen, verfasst 1798 noch eine revidierte staatsverfassung, später wurde er professor an der berner akademie. dabei schrieb er sein grundlegendes werk: die restauration der staatswissenschaften, – der konservative wurf gegen die französische revolution, der nach 1815 im europa des wiener kongresses weit herum gereicht wurde, und der epoche, mindestens bis 1830 den heute noch üblichen nahmen gab: die restauration oder wiederherstellung.

karl ludwig von haller war ein intellektueller konservativer. seine wiederherstellung der alten verhältnisse war grundlegend. uns so trat er 1821 auch zum katholizismus über. von haller wurde darauf hin von all seinen berner ämtern entfernt. er ging nach paris, kam nach der julirevolution jedoch wieder in die schweiz, diesmal nach solothurn, wo man unvermindert katholisch-konservativ sein durfte. in bern wäre das mehrfach nicht mehr gegangen.

insofern wirkt der lokalbezug etwas gesucht. aber karl ludwig von haller war in seiner zeit eine europäische grösse. und genau das ist es, was den autor interessiert. solchermassen prominente drängen sich geradezu auf, um zusammenhänge vorzuführen: rassismus prägte das denken der konservativen eliten in der schweiz des 19. jahrhunderts, – und genau dieser rassismus habe den sklavenhandeln legitimiert, ist fässlers these: weisse und schwarze, gottgläubige und heiden, herren und knechte, das war das traditionelle denken vor der französischen revolution, und das pflanzte sich mit der restauration wieder fort. fässler zitiert von haller an diesem abend ausgiebig vor: am liebsten die passagen zur sklaverei, welche von haller rechtfertigte. würden sklaven selber entscheiden können, würden sie genau diese form freiwillig wählen, ist die pointe.

der historische hintergrund

die realität der sklaven im transatlantischen geschäft war deutlich härter. zwischen 1444 und 1888 wurden menschen aus afrika entführt, auf plantagen in übersee verkauft und zu zwangsarbeit verpflichtet. 12 millionen menschen wurde so verschoben. unbekannt ist bis heute die zahl der toten. die uno zählt das zu den menscheitsverbrechen. fässler wiederumschätzt, dass 1.5 prozent des sklavenhandels über den atlantik von unternehmen getätigt wurden, an denen schweizer investitionen beteiligt waren.

verschiedene historiker sind heute dabei, die geschichte der sklaverei neu zu schreiben. fässler gehört dazu, sein tragischer held ist toussaint louverture, dem haitianischen freiheitskämpfer, der nach frankreich verschleppt wurde, persönlicher gefangener von napoléon war, nach pontarlier in den französischen jura verfrachtet wurde und dort im kerker systematisch zermürbt wurde. er starb in französischer gefangenschaft, und heute erinnert in pontarlier ein strassenschild an diese tat. auch dem ist der lokalhistoriker fässler nachgegangen.

hinter den erzählungen, die so entstehen, interessieren sich historiker wie hans fässler vor allem für die strukturellen gründe der sklaverei. sie wollen wissen, wer sich mit geld beteiligte, und wer davon einen nutzen hatte. eindrücklich sind die hinweise, die hans fässler über haiti zitiert: in die unabhängigkeit entlassen wurde das land nur, weil es sich von der sklaverei loskaufte. dafür musste es aber ein dreiviertel jahrhundert frankreich geld abliefern, und die schulden, die es sich so auflud, zahlte haiti nochmals fast eine dreiviertel jahrhundert lang ab. die neue geschichtsschreibung der sklaverei, die sich besonders solchen fragen zuwendet, hat denn auch politisch-ökonomische ziele. sie will die basis schaffen für forderungen von ländern wie haiti zur wiedergutmachung.

intellektuelle und emotionale reaktionen

wer geschichte materialistisch denkt und einsetzt, kommt mit der idealistischen kritik an der sklaverei, entstanden in der aufklärung, in konflikt. fässler zitiert denn auch stimmen aus ländern mit starker sklaverei, welche die bedeutung der menschenrechtserklärung zur abschaffung der sklaverei bestreiten. vielmehr seien es die aufstände der sklaven gewesen, welche die sicherheitskosten in die höhe getrieben haben, und so die skalverei unrentabel gemacht hätten.

im ersten moment reagiere ich irritiert. richtig ist doch, dass der sklavenhandel von europa ausging, aber auch seine abschaffung ihren ursprung hier hat, sagt meine innere stimme. und dann merke ich selber, wie entscheidend die optik für die schlussfolgerung ist. an mir selber erfahre ich in sekundenschnelle, dass ich beide sichtweisen in mir vereinige: ich schätze die aufklärung als wesentlichen kulturellen beitrag europas zur menschheitsentwicklung sehr. jean-jacques rousseau, aber auch seine vermittlerin in bern, julie bondeli, haben mich immer angesprochen. doch das ist meine perspektive von oben, jenes des fortschritts, der so ermöglicht worden ist. als ich dann aber sah, dass bondelis vater nicht nur philosophieprofessor in lausanne war, sondern auch landvogt in echallens, schluckte ich dreimal leer. ausgerechnet der, der meine vorfahren an die französischen könige verkaufte, und so sein pekuniäres glück auf kosten meiner familie machte, ausgerechnet der ist der vater unserer aufklärerin in bern. das ist die perspektive des gleichen von unten.


teilweise ausgeleuchtete hintergründe, ist das verdienst des buches
bild: stadtwanderer

als ich hinausgehe, erinnere ich mich, wie ich selber schon den nachfahren bondeli eine rechnung schicken wollte. prominente empfänger solcher schreiben gäbe es heute noch. krasser muss es sein, wenn ein ganzes volk, ein ganzes land unter den folgen der sklaverei gelitten hatte. das habe ich an diesem abend begriffen. durch meinen eigenen ortstermin.

manchmal ist es gut, hinter geisterbahnen zu blicken. nur zu schnell vergisst man, dass ihre realität nicht der erkaufte schrecken, sondern das verkaufte leben von menschen ist. dies klarheit hat fässler bei mir geschaffen.

stadtwanderer

hans fässler, reise in schwarz-weiss. schweizer ortstermine in sachen sklaverei, zürich 2005, 36 chf.

schweiz und sklavenhandel