wenn links und rechts nicht gleich heissen – berner kuriositäten (1)

stadtwandern hat etwas mit beobachten zu tun. und wer beobachtet, entdeckt so manch kurioses. darüber will ich berichten in der rubrik “berner kuriositäten”. hier die folge 1.

gewöhnlich heissen strassen auf beiden seiten gleich. nicht so in bern. wenigstens nicht überall.


bild: stadtwanderer (anklickbar)

wer beim weltberühmten zytgloggen steht, von osten her das zifferblatt bewundert, der sieht links oder südlich davon eine apotheke und ein kleines strassenschild: “bim zytglogge”. also heisst die strasse – oder besser: das strassenstück – an dem der zytgloggenturm steht, sinnvollerweise, “bim zytglogge”.


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geht man nun durch das tor hindurch (man werfe dort kurz einen blick auf die stadtsage (nicht stadtgeschichte!) von 1601), und kehrt man sich danach gegen rechts oder norden, ist man unvermindert an der gleichen strasse. doch wer glaubt, dass sie vis-à-vis auch gleich heisse, sieht sich getäuscht. vielmehr steht man jetzt vor dem strassenschild “zytgloggenlaube”.


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tja, links und rechts der einen strasse ist nicht überall das gleiche, wenigstens in bern nicht …

stadtwanderer

heiraten in bern (und anderswo)

liebe stephanie, lieber rico!

ihr habt geheiratet, in bern. zunächst viel glück für euren neuen lebensabschnitt! für eine österreicherin und einen zürcher braucht es wohl einigen mut, ausgerechnet in bern zu heiraten: vorderösterreichische provinz mag man da und dort denken, und auch morbide beamtenstadt dürfte mitschwingen, wenn ihr bei eurer familie und euren freunden von bern erzählt. aber:

ihr lebt hier!
und es gefällt euch hier!
und ihr habt beide in bern arbeit gefunden!
ihr fühlt euch hier wohl, und
ihr habt einander geheiratet.


bild: stadtwanderer (anklickbar)

es mag sein, dass die kontakte zur einheimischen berner bevölkerung gering bleiben. halb so schlimm, würde ich sagen, denn es geht auch anders herum! bern ist gross genug, um neue leute kennen und schätzen zu lernen, und klein genug, um sich darin nicht zu verlieren. ich kann davon gut berichten: vor 26 jahren kam ich nach bern, habe einen teil meines studiums hier verbracht, habe arbeit gefunden, habe meinen freundeskreis entwickelt, habe eine gebürtige pragerin, die in bern lebte, kennen und lieben gelernt, habe viele jahre in der stadt gewohnt, und bin ihr bis heute als lebensraum eng verbunden geblieben, selbst wenn ich, um etwas mehr ruhe und nähe zur natur zu haben, ausserhalb wohne.

nein, geheiratet habe ich – im gegensatz zu euch – nicht! das heisst nicht, dass ich beziehungslos lebe: “in festen händen”, sagt man im zeitalter der desinstitionalisierten ehe. das heisst, auf persönlicher übereinkunft basierend ist meine beziehung, frei von familiären verpflichtungen, ohne kirchlichen segen und auch mit keinem amtlichen stempel bezeugt.

mein verhalten, oder das meiner generation, hat so seine geschichte. am besten gefällt mir persönlich das beziehungsverständnis, das man in der vorchristlichen zeit, in der fränkischen gesellschaft des frühmittelalters, von der friedelehe hatte: “friudiea” ist die geliebte, und “ewe” ist das recht. die friedelehe ist das recht der liebenden, das sie untereinander vereinbaren, und das für die willensgemeinschaft zwischen mann und frau steht.

ich weiss, das sind alte geschichten, werde ihr sagen, denn ihr lebt mehr in der gegenwart als ich. ich aber sage euch: die gegenwart hat mehr mit der vergangenheit zu tun, als dass ihr denkt.

* * *

in der frühmittelalterlichen gesellschaft dominierte die sippe. ihre anerkannte form der ehe war die muntehe. munt steht dafür für die vormundschaft über die frau, die bei der muntehe vom vater auf den ehemann übergeht. heiraten war ein eigentliches geschäft zwischen zwei sippen, bei dem es, gegen einen brautpreis, um eine frau ging. getraut wurde öffentlich. das brautpaar stand im zentrum, umgeben vom kreis der verwandten. dem sippenoberhaupt oblag die befragung des brautpaares, die zum ja-wort führte. dieses stand gleichsam für die übergabe der frau an den mann. mit ihr folgte die heimführung der braut in der haus des gatten, wo man zunächst das hochzeitsmahl einnahm. damit die ehe rechtskräftig wurde, musste sie auch vollzogen werden, und dem ersten beilager wohnten gewöhnlich zeugen bei. mit der vollen muntübertragung hatte der ehemann das alleinige verfügungsrecht über das eheliche vermögen, das alleinige scheidungsreicht, und die gewalt über frau und kinder inne. dafür war er verpflichtet, seine frau zu schützen.

mit der friedelehe wurde der fränkische ehemann nicht vormund der frau. mann und frau hatten das recht auf scheidung. die ehe selber wurde nicht durch die sippen geschlossen, vielmehr kamm sie durch heimführung, beischlaf und überreichung der morgengabe zustande. einen brautpreis bezahlt der ehemann nicht. kinder aus fiedelehen waren aber erbberechtigt. auch in der fränkischen gesellschaft war die friedelehe mehr als eine kebsehe. “kebse” waren eigentliche nebenfrauen, die immer aus minderwertigen ständen kamen. freien war es erlaubt, mit unfreien frauen, die in seinem besitz waren, eine kebsehe einzugehen, und zwar so oft man wollte. dafür kinder aus kebsehen war nicht erbberechtigt, und sie blieben unfrei: kegel wurden sie geheissen und von kindern klar unterschieden.

nach den schweren erschütterung der fränkischen gesellschaft im 9. jahrhundert machte sich die kirche daran, den aufkommenden adel und die bauersleute von neuem zu christianisieren. jetzt ging es zentral um lebensführung und eherecht. das verbot der verwandtenehe stand an erster stelle, der forderungen der katholischen kirche. kinder sollen aus einer ehe hervorgehen, nicht erbverhältnisse geregelt werden. dafür wurde die beziehung der ehegatten ins zentrum gericht. eheleute sollten nicht mehr bei den eltern des mannes wohnen, vielmehr mussten sie einen eigenen haushalt gründen, der in der europäischen kultur gleichsam stellvertretende für die neue kernfamilie. für diese fordert die katholische kirche das konsensprinzip und die unauflöslichkeit. ehewillige sollen nicht einfach zusammegeführt werden, sondern sich verloben. das stärkte die eigenständigkeit der frau gegenüber der sippe, und eröffnete den eheleuten auch die möglichkeit, ehelos zu bleiben, um der kirche zu dienen. wurde die ehe jedoch geschlossen, galt sie für immer (“… bis dass der tod euch scheidet.”), worüber die katholische kirche zu allen zeiten streng wachte.

kulturell war das ein enormen fortschritt, blieb aber nicht ohne zahlreiche probleme. am wichtigsten problem, dass die katholische kirche nicht lösen konnte, sollte die allgemeingültigkeit ihres ehemodell in der europäischen kultur denn auch scheitern. gemeint ist der priesterzölibat, im 11. jahrhundert verlangte, seit der krise der abendländischen kirche im 14. jahrhundert aber kaum mehr durchsetzbar.

genau daran entzündet sich in der schweiz wie auch im kaiserreich der streit der reformatoren mit der katholischen kirche. sie selber heirateten demonstrativ, und propagierten die priesterehe als mittel, die distanz zwischen klerikern und laien aufzuheben. pfarrfamilien wollten die reformatoren zu lebendigen vorbildern der eheführung machen. kirchliche trauungen waren hierfür nicht nötig, denn das eheversprechen der heiratswillgen alleine schafft das neue. reformierte männer durften mit 20, reformierte frauen mit 18 jahren auch ohne einwilligen ihrer eltern heiraten. neu war auch die möglichkeit einer ehescheidung im falle eines eheburchs, bis zum ende der alten republik durch ehegerichte kontrolliert. angesichts der konfessionellen spaltung interessierte man sich auch für die bevölkerungsentwicklung. hauptzweck der reformierten ehe blieb denn auch die zeugung von kindern; jedoch verbunden mit ihrer aufzucht. dafür stärkten die reformatoren die stellung des hausvaters. arbeitsteilung zwischen ehemann und -frau war angesagt: der mann sicherte die wirtschaftliche existenz der familie, und die frau kümmerte sich um den haushalt und die kinder.

die starke bedeutung der ehe als wirtschaftsgemeinschaft bei den reformierten führte dazu, dass liebe und sexualität auch ausserhalb der ehe gesucht wurden. es sollte die aufgabe des bürgertums im 18. jahrhundert werden, ehe, liebe und sexualität im bürgerliche ehemodell miteinander zu verbinden. die romantische liebe wird jetzt zum einzig gültigen grund einer ehe, die jetzt zur privatsache wird. dafür wird die gutbürgerliche sittlichkeit zur norm, die durch die frau gewahrt, aber auch vom mann verlangt wird. gewalt wird verpönt, und der familiäre kreis wird durch das ‘du’ bestimmt, mit dem sich die ehegatten ansprechen, und das später auch von kindern verwendet werden darf.

die liberale gesetzgebung lässt den einfluss der kirche auf die heirat im 19. jahrhundert schwinden. 1821 wurde die konfessionell-gemischte ehe in der hälfte der schweizerischen kantone erlaubt. rechtlich aufgehoben wurde das verbot jedoch erst 1850, durch den jungen bundesstaat. 1874 wurde schliesslich die zivilehe eingeführt. das patriarchale selbstverständnis der ehe wurde jedoch bis zum heute geltenden, erst 1985 bewilligten eherecht nicht angetastet.

lange blieb die liebesheirat ausserhalb der vermögenden und aufgeklärten bürgerlichen schichten nur ein traum, der durch wirtschaftliche not und manigfaltige einschränkungen nicht realisiert werden konnte. erst die hochkonjunktur des 20. jahrhunderts erleichterte es zahlreichen jungen leute, ihren wunsch nach einer eigenen ehe zu verwirklichen. damit sinken das heisratsalter, gleichzeitig auch der anteil lediger auf historische tiefstwerte. wenigstens vorübergehend schien es so, dass die wünschbarkeit der bürgerlichen ehe nahezu unbestritten blieb.

die bürgerliche liebesheirat bestimmt bis heute das heiratsverhalten, selbst wenn sie der versuch bleibt, feuer und wasser zu mischen. die liebe hat die ehe als zweckgemeinschaft aufgewertet, stellt sie aber auch gleichzeitig als institution in frage. denn die konsequente liebesehe lässt auch ihre auflösung zu, wenn die ihre basis, die liebe, nicht mehr gegeben ist.

seit ende der 60er jahre zerfällt deshalb auch das bürgerliche eheideal. voreheliche sexualität wird wieder populär, aussereheliche sexualität ist verbreitet. die diskriminierungen lediger mütter und ihrer kinder durch das gesetz sind unhaltbar geworden. und der individuelle konsens zwischen partnern ist mit dem neuen ehe- und erbrecht sogar die legale grundlage der heirat geworden.

* * *

für menschen wie mich, die sich die frage der heirat zu beginn der 80er jahren stellten, war das neue ehe- und erbrecht noch keine chance. gesellschaftliche, staatliche und kirchliche eheideale hatten ihren reiz längst verloren. und das recht hindert einen schon daran, ernsthaft ans heiraten zu denken. brüche in der eigenen biografie, berufliche und private, haben zudem den glauben an die bindende wirkung von lebensgemeinschaften schwinden lassen. wenigstens für mich, und meine generation.

für menschen wie euch, die zusammenleben und familiengründung verwirklichen wollen, ist das eine neue chance, die ihr heute packt. dafür bewundere ich euch ein wenig.

ihr wisst, ich wollte euch eine kleine stadtführung in bern und umgebungen schenken. stadt- und kulturgeschichte sollten den rahmen bieten, indem ihr heiraten werden. und besondere ehepaare aus unserer geschichte sollten das verständnis der ehe in ihrer zeit aufzeigen.

alles war so schön vorbereitet! doch sollte es nicht soweit kommen: im regen stehen gelassen haben uns

. die natur,
. der herrgott,
. die beiden landeskirchen,
. der staat (bund, kanton und gemeinde) und
. die ganze bürgerlicher gesellschaft.

auf nichts ist mehr verlass, sag ich da! so mussten wir gestern erheblich improvisieren, abkürzen und weglassen, – bis zur unendlichkeit der geplanten stadtwanderung.

ich hoffe, es ist nicht ein zeichen, für meine skepsis gegenüber der ehe! und weil ich immer auch optimist bin, glaube ich an eure heirat. deshalb habe ich euch, mit meiner karte, die am ballon gen himmel stieg, sonnenschein gewünscht, und wenn ihr den habt, die verpasste stadtwanderung als geschenkt noch nach gereicht.

der (unverheiratete) stadtwanderer