die vergessene burgundische tradition des 1. mai

tja, das rote bern feiert, ihren 1. mai, den tag der arbeit, an dem man nicht arbeitet. verbinden soll es das land! in solidarität und linker eintracht. habe einen kurzen blick geworfen, auf die versammlung, zwischen hotel bern (rotes haus), kornhaus (berner merkantilismus) und franzosenkirche(ehemaliges dominikanerkloster, später asylkirche der hugenotten). viele leute hatte es nicht, und ich bekam den eindruck, es sei vor allem das rotgrüne bündnis, das den sozialistischen 1. mai feiert. stimmungsmässiger höhepunkt kam von femden völkern: tanz der kurdischen frauen, glitzernde kleider (muss schrecklich gewirkt haben für die feministinnen), dröhnende musik (war schrecklich für alle alle ohren), und ein wenig ablenkung vom politalltag. so ist war es, am 1. mai 2006.

besonders angezogen hat mich die veranstaltung jedoch nicht, wir von den stadtwanderern sehen im 1. mai nämlich auch einen ganz anderen feiertag: dem gedenktag an burgunderkönig sigismund, der legende nach an diesem tag im jahre 524 verstorben. und das kam so:

könig sigismund, 2. könig der vereinigten burgundia

sigismund war der sohn von könig gundobad, der die verschiedenen königreiche von burgund um 501 geeinigt und ihnen ein einheitliches recht erlassen hatte. regiert wurde von da an die burgundia aus lyon. wann sigismund geboren wurde, ist unklar. 497, er musste wohl 20 gewesen sein, und er empfing – gegen den willen seines vaters, der arianischen glaubens war – die christliche taufe. taufpate war aviatus von vienne, ein seelenführer, der bischof in der stadt im mittleren rhonetal war.

bevor sigismund könig wurde, hatte er als pilger den papst in rom besucht (sein vater war 472 noch an der spitze eines burgundischen heeres als eroberer roms in erscheinung getreten, der den “kaiser” abgesetzt und einen neuen “kaiser” nach seinem willen eingesetzt hatte), und in ravenna seinen schwiegervater, den ostgotenköig theodrich den grossen, ebenfalls arianischen glaubens, getroffen. danach kehrte er ins burgundische königreich zurückgekehrt, das von arles bis langres bzw. von nevers bis an die aare reichte. vereinfacht ausgedrückt umfasste es das ganze rhonetal, samt den wichtigen zuflüssen. von genf aus, wo er als unterkönig residierte, förderte er in agaunum, oberhalb des genfersees, an der rhone gelegen, die katholische kirche. 515 ist das jahr, indem das dortige kloster, heute besser unter dem namen st. maurice bekannt, als eigentliches burgundisches hauskloster gegründet wurde. beabsichtigt war es damit, den wichtigesten übergang nach rom, den grossen st. bernhard, aus burgundischer sicht zu herschaftlich und kirchlich zu stärken.

516 wurde sigismund beim tode seines vater könig von burgund. mit seiner königsherrschaft wurde das königreich erstmals ganz katholisch. das heisst nicht, dass man den alten glauben, germanischen ursprungs nicht mehr anhing; das volk lebte weiterhin mit den traditionellen göttern und nach den alten sitten. sie waren nur soweit angepasst worden, dass sie von der spätantiken gesellschaft in den alten römischen städten, akzeptiert werden konnte. dafür stand vor allem die königssippe, die das mit ihrer zugehörigkeit zum katholischen glauben am sichtbarsten bezeugte.

mit dem übertritt zum katholizismus war man in der brugundia mit den franken gleichgezogen, die könig chlodwig nach seinem sieg über die römer in gallien, geeingt hatte, gleichgezogen. die merowingersippe, die in tournai und soissons herrschte, war stark aufstrebend, und hatte sich weit über francien ausgedehnt. unterworfen wurden von den franken die alamannen am oberrhein und die westgoten in acquitanien, sodass, mit ausnahme burgunds, das alte gallien nach dem untergang des weströmischen ganz unter fränkische herrschaft gekommen war.

sigismund heiratete nach dem tod seiner ersten frau als burgundischer könig ein zweites mal, nun eine katholikin. für sie war sigerich, sigismunds sohn aus erster ehe mit der tochter von könig theoderich dem grossen, stein des anstosses. sie verpfiff 522 den stiefsohn bei seinem vater, er trachte nach der königsmacht, und die vorherrschaft der katholiken in burgund sei in gefahr. sigismund liess sich hierauf zu einer schrecklichen tat hinreisen, und ermordete seinen sohne im affekt.

die krise der burgundischen königsherrschaft

sigismund wurde von seinem taufpaten aviatus unterrichtet, dass eine solche tat mit dem katholischen glauben nicht vereinbar sei. der könig tat darauf busse, zog sich selber nach agaunum zurück, stattete das kloster reich aus, und lebt selbst ein jahr dort. zwischenzeitlich regierte sein bruder godomar die burgundia. die beziehung zwischen burgund und ostgoten, die im namen des kaisers von byzanz ganz italien regierten, kühlten sich jetzt ab, war doch sigericht auch von ihrem blut. theoreich versagte seinen schutz an burgund, was die franken nutzen, um das geschwächte königshaus von burgund zu stützen.

unter führung von könig clodomir griffen die franken nun burgund an. zu seinen truppen zurückgekehrt, konnte sigismund nur noch die niederlage feststellen. er und seine familie fielen den franken in die hände, die sie nach orléans abschleppten. in der burg von coulmiers, wo sigismund, seine frau und seine zwei söhne gebracht worden waren, wurden sie gemeinsam in einem brunnen ertränkt. wahrscheinlicher todestag ist der 1. mai 524.

nun fühlten sich die ostgoten von den ungehemmt expandieren franken bedroht, und sie unterstützen den bedrängte könig godomar wieder. dieser griff in den burgundischen alpen bei vézeronce am 21. juni 524 die franken an, schlug sie, wobei könig chlodomir selber fiel. darauf hin zogen sich die franken aus burgund zurück, doch nur bis 534. nach dem tod des ostgotenkönig theoderich, strebten sie die herrschaft über burgund erneut an, besiegten könig godomar endgültig und unterwarfen die burgundia dem fränkischen königtum.

536 wurden die reliquien von könig sigimund nach st. maurice gebracht, und unter den anhaltenden gesängen (laus perensis), die an den christlichen kaiserhof von byzanz erinnern sollten, aufgebahrt. dort blieben sie bis 1365, wurden danach nach freising und prag überführt, wo sie den von kaiser karl iv. geförderten sigismund-kult in zentraleuropa begründeten, und wo sie heute noch zu besichtigen sind.

suevagotta und die anbindgung an den reimser königshof

was das alles mit uns stadtwanderern in bern und burgung zu tun hat? ganz viel. sigismund verheiratete nämlich seine tochter suevagotta an den ebenfalls fränkischen königshof von reims. dort herrschte theuderich I., genauso wie chlodomir sohn von chlodwig, jedoch aus einer anderen ehe. in reims begründete er eine merowingische königsherrschaft, die sich zusehends nicht mehr gallisch verstand, und dazu tendierte, eine eigene dynasite zu werden, die über die ostlichsten, am wenistens entwickelten gebiete herrschen sollte. die theuderich I. beteiligte sich auch nicht an der eroberung burgunds durch seinen bruder chlodomir, sondern besetzt im gegenzug die reiche auvergne. um einen besseren zugang zu seinen besitzungen zu haben, forderte er, nach godomars tod einen teil der aufgeteilten burgund. als mann von suevagotta griff er nach dem alten unterkönigreich von sigismund, das genf und sein hinterland umfasst hatte. nun geriet dieser teil burgunds, anders als der rest, wenigstens vorübergehend nicht unter die herrschaft, die in orléans ausgeübt wurde, sondern von reims ausging.

unter theuderich wurde das westliche mitteland der heutigen schweiz wieder aufgebaut. aventicum wurde jetzt ein fränkiches zentrum, jetzt wiflisburg genannt, und bekam (vorübergehend) einen eigenes bischof. nach der römischen kaiserherrschaft, der burgundischen königsherrschaft machte sich nun eine fränkische herrschaft breit. und es wurden alamannische siedler, die ausgehend von zurzach zwischen 534 und 555 in ehemals burgundisches gebiet vordrangen, aufgenommen.

die teilung des mittellandes zwischen burgund und alemannien

561 sollte dies, nach dem tod des fränkischen könig chlothar I , der vorübergehend und nur kurz über alle fränklischen teilkönigreich regiert hatte, von entscheidender bedeutung sein. die alte burgundia wurde nun unter dem fränkischen könig gunthar wieder zusammengefügt, und neu dem königshof von chalons-sur saône untergeordnet. der westliche teil des mittellandes kam so wieder zum fränkischen burgund, und zwar als ducatus transioranorum oder eigenes herzogtum mit wifflisburg als zentrum. das katholisch-römische erbe fand damit seine fortsetzung.

das zwischenzeitlich alamannisch besiedelte aaretal dagegen wurde, durch germanische völkerschaften aufgefüllt, im eigentlichen sinne repaganisiert, zum ducatus alemanorum erhoben, und den neu in metz regierenden fränkischen königen von austrasien untertellt. die christianisierung sollte hier noch lange ausbleiben, und erst im 8. jahrhundert unter den karolingern eingeführt werden. auch sprachlich nahm das gebiete seine eigene entwicklung. das alemannische dominierte über das spärlich verblieben spätantike vulgärlatein.

ein kulturelle trennung, die nicht ohne bedeutung sein sollte. die karolinger betrachteten die burgundische und alemannische traditionen sehr unterschiedlich, und als ihre herrschaft im 9. jahrhundert zerfiel, neue adelsherrschaften mit neuen grenzen entstanden, wählte man die grenze von 561 als grenze zwischen dem imperialen mittelreich (bei dem die teile links der aare verblieben) und dem ostfränkischen königreich (zudem die teile rechts der aare nun als herzogtum schwaben) kamen.

die vergessene tradition des 1. mai

heute mutet die teilung des mittellandes, die 561 begann, fast selbstverständlich an. die oberherrschaft ist zwar nicht mehr fränkisch, sondern schweizerisch. die teilung von kulturräumen, heute von sprachräumen, die im 6. jahrhundert entstand, ist aber mit fast unveränderten kulturgrenzen fast allgegenwärtig geworden.

sigismund hat doch vielmehr mit unserem leben heute zu tun, als wir es, die so vergesslich sein, zu glauben vermögen. wer weiss, was geschehen wäre, hätte er suevagotta nicht mit theuderich verheiratet, wären die alamannen nicht eingedrungen und wäre das ganze mittelland 561 wieder burgundisch geworden resp. geblieben.

die schweizer geschichte hat diese zusammenhänge fast ganz vergessen. wenn man sich überhaupt noch der burgunder erinnert, ist das schon viel. erfahren habe ich das weder im geschichtsunterricht, noch in schweizergeschichtsbüchern. erfahren habe ich alles vielmehr nur, weil die katholische kirche den tod von klostergründer sigismund als martyrium sah, und ihn, auch ohne kanonisierung als heiligen verehrt. und genau daran erinnert mich der 1. mai, gerade in bern, das heute wieder brückenstadt über die aare geworden ist!